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Letzte Instanz

Letzte Instanz

Titel: Letzte Instanz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marcia Muller
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stützte sich schwer
auf meinen Arm — nichts mehr von der hochmütigen, unfreundlichen Frau, sondern
nur noch eine verletzliche alte Dame.
    Mein Zorn war groß. Ich mußte mich in
acht nehmen, daß nicht Gefühle meinen Entschluß beeinflußten, ob ich ihren Fall
übernahm oder nicht. »Tun Sie nichts Überstürztes«, sagte ich zu ihr.
»Zumindest reden Sie erst mit Judy darüber.«
    Sie gab keine Antwort. Ihr Blick
richtete sich noch einmal auf die rote Sprühschrift. Sie schauderte, schob mich
zur Seite und stolperte zur Haustür — als erinnere sie sich plötzlich an eine
blutige Szene sechsunddreißig Jahre zuvor.
     
     
     

2
     
    Ich vergewisserte mich, daß Lis
Benedict wirklich im Haus war. Dann ging ich auf die Suche nach einem Jungen
mit roten Händen.
    Die Geschäfte, an denen ich auf dem
belebten Bürgersteig in der Mission Street vorbeilief, spiegelten den Einfluß
der irischen und italienischen Arbeiterfamilien wider, die sich hier früher
angesiedelt hatten. Dazu kam der spanische Einschlag, denn heute sind die Latinos
die vorherrschende Bevölkerungsgruppe, und hin und wieder noch Spuren anderer
Kulturen: Zwischen kleinen Bodegas fanden sich verstreut asiatische Läden. Es
gab unzählige Tacquerias, aber auch vietnamesische Restaurants und Sushi-Bars.
Remedy Lounge, die von All Souls bevorzugte Trinkstätte, hatte mehr als vierzig
Jahre lang der O’Flanagan-Familie gehört. Im Videoverleih waren zwar die
spanischsprachigen Videos noch das Hauptgeschäft, aber ein Karatestudio, ein
philippinisches Reisebüro und ein Center für Zen-Meditation kündeten auch dort
von einer neuen Ordnung.
    Existierten die verschiedenen Kulturen
draußen auf der Straße noch relativ getrennt nebeneinander, so war die City Amusement
Arcade schon der große Schmelztiegel. Videospiele kennen keine ethnischen
Grenzen: Kinder aus aller Herren Länder mit wenigstens einem halben Dutzend
verschiedener Sprachen hockten vor den blinkenden Maschinen. In der viel zu
heißen, abgestandenen Luft mischten sich Zigarettenqualm, der Duft nach
billigem Rasierwasser und Schweißgeruch. Ich blieb an der Tür stehen und
wartete.
    Nach kurzer Zeit tauchte aus dem Innern
ein schlanker junger Mann in teurer Lederjacke auf. Er sah mich an, während er
einen Kamm aus der Tasche zog und sich damit durch das üppige schwarze Haar
fuhr. Ich lächelte. Sein Blick verfinsterte sich. Sein Kopf ruckte in Richtung
Tür. Ich ging wieder hinaus und den halben Block weiter bis zu einem
baufälligen Sandwich-Laden namens Serving Spoon. Mit zwei Tassen Kaffee setzte
ich mich in eine der Kojen. Nach ein paar Minuten kam Tony Nueva herein und
ließ sich mir gegenüber nieder.
    »Mein Gott, McCone«, sagte er, »wieso
müssen Sie denn dort in der Arcade herumstehen, als wären Sie mein Dealer?«
    »Die Leute dürften eher glauben, ich
bin deine Bewährungshelferin.«
    »Quatsch. Wozu brauche ich
Bewährungshelfer? Ich bin Geschäftsmann, nichts weiter.«
    »Stimmt.« Tony Nueva war gerade
neunzehn und hatte doch schon ein kleines Finanzimperium auf der Basis
halblegaler Aktivitäten errichtet, zu denen nicht zuletzt das Verkaufen von
Informationen an den Meistbietenden gehörte. Der Umstand, daß er überhaupt noch
am Leben war, und sogar erfolgreich, zeugte von einer gewissen, wenn auch etwas
fehlgeleiteten Begabung.
    Er nahm einen Schluck Kaffee und verzog
das Gesicht. »Was wollen Sie wissen?«
    »Im Lauf der letzten Stunde hat ein
Junge, ein Latino, oben an der Wool Street ein Haus angesprüht. Die Spraydose
war undicht, und der Junge hat sich dabei rote Hände geholt. Ich will wissen,
wer er ist.«
    Tony rollte den Styroporbecher zwischen
den Händen. »Graffiti-Künstler gibt es wie Sand am Meer. An manchen Abenden
sind sie zahlreicher als die Wartenden an den Bushaltestellen.«
    »Aber du kriegst es heraus.«
    »Warum interessiert Sie das?«
    »Es handelt sich um keinen gewöhnlichen
Fall. Möglicherweise hat ihn jemand angeheuert.«
    »Ich weiß nicht recht, McCone.«
    »Na los, Tony. Ich habe Vertrauen zu
dir. Weißes Haus in viktorianischem Stil. Rotes Lackspray.« Ich nannte ihm die
Adresse. »Zwanzig auf die Hand, wenn du ihn mir lieferst.«
    »Augenblick mal! Ich habe meine Unkosten...«
    »Zehn jetzt, zehn bei Lieferung.« Ich
hatte den Schein schon in der Hand und schob ihn über den Tisch.
    Tony ließ einen empörten Seufzer hören
und schob das Geld in die Tasche. Das Informant-Käufer-Ritual war zu Ende, und
er sagte: »Bis fünf Uhr bin

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