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Letzte Nacht in Twisted River

Letzte Nacht in Twisted River

Titel: Letzte Nacht in Twisted River Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Irving
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auch die italienische Gemeinschaft im North End und alles, was dort das »katholische Zeug« verkörperte - hatte sie verstoßen. Jetzt verstieß Nunzi
sie.
Weder ging sie selbst zur Messe, noch schickte sie Dominic hin. »Es reicht, dass wir bei Bedarf zur Beichte gehen«, sagte sie zu Dom, ihrem kleinen Wolfskuss.
    Und weder brachte sie dem Jungen Italienisch bei - von ein paar unentbehrlichen Kochbegriffen abgesehen -, noch war Dominic gewillt, die Sprache der »alten Heimat« zu lernen, die für ihn das Bostoner North End war, nicht Italien. Die Sprache und der Ort hatten seine Mutter verstoßen. Italienisch würde nie Dominic Baciagalupos Sprache sein, und er betonte entschieden, nichts ziehe ihn nach Boston.
    Alles in Annunziata Saettas Leben in Berlin war ein Neuanfang. Die jüngste von drei Schwestern konnte so gut Englisch lesen und sprechen wie sizilianisch kochen. Nunzi brachte Kindern in einer Grundschule in Berlin das Lesen bei, und nach dem Unfall nahm sie Dominic aus der Schule und lehrte ihn die Grundlagen der Kochkunst. Außerdem legte sie Wert darauf, dass der Junge Bücher las - nicht nur Kochbücher, sondern alles, was sie selbst las, Romane vor allem. Ihr Sohn hatte die allgemein missachteten Gesetze zur Kinderarbeit übertreten und war dabei zum Krüppel geworden, und Annunziata hatte ihn aus dem Verkehr gezogen; zum Hausunterricht gehörte für sie kulinarische und literarische Bildung.
    Weder das eine noch das andere war Ketchum zuteil geworden, der noch keine zwölf war, als er die Schule verließ. 1936, mit neunzehn, konnte Ketchum weder lesen noch schreiben. Wenn er nicht als Holzfäller arbeitete, belud er auf den offenen Rampen des größten Sägewerks von Berlin Eisenbahn-Flachwagen mit Nutzholz. Die Belademannschaft schichtete die Ladung oben so auf, dass die Wagen problemlos durch Tunnel und unter Brücken hindurchkamen. »Darin erschöpfte sich meine Bildung, bevor deine Mutter mir das Lesen beibrachte«, erzählte Ketchum Danny Baciagalupo gern. Der Koch schüttelte dazu wieder den Kopf, doch an der Geschichte, dass Dominics verstorbene Frau Ketchum das Lesen beigebracht hatte, ließ sich offenbar nicht rütteln.
    Zumindest gehörte sie anscheinend nicht in die Kategorie von Ketchums Lügengeschichten - so wie beispielsweise die über die Schlafbaracke mit der niedrigen Decke in Camp One. Laut Ketchum hatte man »irgendeiner Rothaut« den Auftrag erteilt, den Schnee vom Dach zu schaufeln, doch der Indianer hatte diese Arbeit vernachlässigt. Als das Dach unter dem Gewicht des Schnees einstürzte, kamen alle Holzarbeiter mit dem Leben davon - bis auf den Indianer, der, wie Ketchum es formulierte, »an dem konzentrierten Gestank nasser Socken« erstickt sei. (Natürlich kannten der Koch und sein Sohn Ketchums ständige Klage, der Gestank nasser Socken sei der
größte
Fluch des Lebens in den Schlafbaracken.)
    »Ich erinnere mich an keinen Indianer in Camp One.« Mehr hatte Dominic zu seinem alten Freund nicht gesagt.
    »Du bist zu jung, um dich an Camp One zu erinnern, Cookie«, hatte Ketchum erwidert.
    Danny hatte oft erlebt, wie sein Vater bei der bloßen Erwähnung der sieben Jahre Altersunterschied zwischen ihm und Ketchum hochging, während Ketchum dazu neigte, die Altersdifferenz zwischen ihnen überzubetonen. Diese sieben Jahre wären ihnen unüberwindlich erschienen, wenn sich die beiden Männer im Berlin ihrer Jugend kennengelernt hätten - als Ketchum ein knochiger, aber bärenstarker Neunzehnjähriger war, der schon mit einem (wenn auch struppigen) Vollbart protzte, und Annunziatas kleiner Dom noch ein Kind war.
    Er war damals ein starker, drahtiger Zwölfjähriger gewesen - nicht groß, aber kompakt und sehnig -, und der Koch hatte immer noch die Figur eines schlanken, muskulösen, jungen Holzarbeiters, obwohl er inzwischen dreißig war und sogar älter wirkte, besonders in den Augen seines halbwüchsigen Sohnes. Es war seine Ernsthaftigkeit, die seinen Dad älter erscheinen ließ, dachte der Junge. Man brauchte in Gegenwart des Kochs nur »die Vergangenheit« oder »die Zukunft« zu sagen, schon runzelte er die Stirn. Und was die Gegenwart anging: Sogar der zwölfjährige Daniel verstand, dass die Zeiten sich änderten.
    Er wusste, dass eine Knöchelverletzung das Leben seines Vaters von Grund auf verändert hatte; ein anderer Unfall, der Dannys junger Mutter widerfahren war, hatte den Verlauf seiner eigenen Kindheit umgekrempelt und das Leben seines Vaters
erneut
von

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