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Letzte Nacht in Twisted River

Letzte Nacht in Twisted River

Titel: Letzte Nacht in Twisted River Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Irving
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ein Feuer gemacht.
    »Komm schon, Hero«, sagte der Schriftsteller, und gemeinsam gingen sie in den frischgefallenen Schnee hinaus. Danny freute sich, als er sah, dass die seinem Vater ähnelnde, windgebeugte kleine Kiefer den Sturm überlebt hatte.
     
    Nicht mit der Ketchum-Figur sollte das erste Kapitel beginnen, befand Daniel Baciagalupo - es war besser, diese Figur noch eine Weile verborgen- und dem Leser vorzuenthalten. Manchmal brauchen die wichtigsten Figuren eines Buchs ein wenig Tarnung. Es wäre besser, dachte Danny, wenn das erste Kapitel - und der Roman - mit dem untergegangenen Jungen anfinge. Dieser Angel, der nicht der war, der er zu sein schien, war ein guter Köder; erzählerisch gesprochen, war Angel ein
Aufhänger.
Mit dem jungen Kanadier (der gar kein Kanadier war) wollte der Schriftsteller beginnen.
    Jetzt dauert es nicht mehr lange, glaubte Daniel Baciagalupo zu spüren. Aber wann auch immer er diesen ersten Satz fand - nun gab es in seinem Leben auch eine Person, die ihn unbedingt lesen sollte!
    »Ob legal oder nicht, ob mit oder ohne ordnungsgemäße Papiere«, schrieb Danny, »Angel Pope war über die kanadische Grenze nach New Hampshire gekommen.«
    Ganz okay, dachte der Schriftsteller, aber als Anfang taugt der Satz nicht - der Trugschluss, wonach Angel die Grenze überquert hatte, kam
später.
    »Danach hatte der Androscoggin auf drei Meilen ein Gefälle von siebzig Metern; bei den Sortierstellen in Berlin dann teilten zwei Sägewerke den Fluss«, schrieb Danny. »Durchaus denkbar, dass der junge Angel Pope aus Toronto dorthin unterwegs war.«
    Ja, klar, dachte der Schriftsteller, schon etwas ungeduldiger. Doch diese letzten beiden Sätze waren zu speziell für einen Anfang; er heftete sie zu den anderen an die Wand, ehe er diesen Satz hinzufügte: »Die Lücke zwischen den wie ein Teppich flussabwärts treibenden Stämmen schloss sich über dem jungen Kanadier; nicht einmal eine Hand oder ein Stiefel tauchten noch kurz aus dem braunen Wasser auf.«
    Beinahe,
dachte Daniel Baciagalupo. Sofort tauchte ein anderer Satz auf - als würde der Twisted River selbst den Sätzen gestatten, an die Oberfläche zu treiben. »Das ständige Pochen der Flößerstangen gegen die Stämme wurde kurz von den Rufen der Flößer unterbrochen, die gerade Angels Stange entdeckt hatten - etwa fünfzig Meter von der Stelle entfernt, wo der Junge verschwunden war.« Auch nicht schlecht, dachte Danny, aber zu
geschäftig
für einen Anfangssatz; in diesem Satz steckten zu viele Ablenkungen.
    Vielleicht lenkte ihn schon allein der Gedanke an
Ablenkungen
ab. Die Überlegungen des Schriftstellers eilten voraus - zu weit voraus -, zu Ketchum. Der neue Satz hatte etwas ausgesprochen Parenthetisches: »(Nur Ketchum kann Ketchum töten.)« Den würde er garantiert behalten, dachte Danny, aber er gehörte
auf keinen Fall
in ein erstes Kapitel.
    Danny schlotterte in seinem Schreibschuppen. Das Feuer in dem Holzofen heizte den kleinen Raum nur langsam auf. Normalerweise hackte Danny draußen in der Bucht ein Loch ins Eis und holte ein Paar Eimer Wasser herauf, während der Schreibschuppen warm wurde; an diesem Morgen hatte er das ausfallen lassen. (Später an diesem herrlichen Tag würde ihm Lady Sky bei diesen Aufgaben helfen.)
    In diesem Moment, ohne dass er auch nur daran dachte - vielmehr hatte Daniel Baciagalupo gerade die Hand ausgestreckt, um Hero hinter dessen gutem Ohr zu kraulen -, fiel ihm der erste Satz zu. Der Schriftsteller merkte, wie er sich in sein Sichtfeld schob, als tauchte er aus den Tiefen des Wassers auf; der Satz kam in Sicht wie das Apfelsaftglas, das mit der Asche seines Dads kurz auf der Oberfläche des Sees geschaukelt hatte, bevor Ketchum darauf schoss.
    »Der junge Kanadier - er war höchstens fünfzehn - hatte zu lange gewartet.«
    O Gott - jetzt geht's wieder los - ich
fange an!,
dachte der Schriftsteller.
    Er hatte so viel verloren, was ihm lieb gewesen war, doch Danny wusste, dass Geschichten Wunder  waren - sie ließen sich einfach nicht aufhalten. Er hatte das Gefühl, dass das große Abenteuer seines Lebens erst begann - so musste sich sein Vater gefühlt haben, in den Nöten und Qualen seiner letzten Nacht in Twisted River.
     
     
     

Impressum
    Letzte Nacht in Twisted River
von John Irving (Autor)
Preis: EUR 26,90
Gebundene Ausgabe: 832 Seiten
Verlag: Diogenes; Auflage: 1 (20. Mai 2010)
Sprache: Deutsch
ISBN-10: 325706747X
ISBN-13: 978-3257067477
Originaltitel: Last Night at Twisted

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