Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Letzte Nacht in Twisted River

Letzte Nacht in Twisted River

Titel: Letzte Nacht in Twisted River Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Irving
Vom Netzwerk:
gemacht?«, fragte Danny seinen Dad.
    »Ihm gut zugeredet, schätze ich«, antwortete der Koch. »Mit einem Mann kann man in so einer Situation nicht reden.«
    Was er mit »so einer Situation« meinte, konnte Dan nur raten. Hatte sein Vater sich eingebildet, seine hübsche Frau vor einem gefährlichen Mann beschützen zu müssen?
    Die gusseiserne Bratpfanne bekam übrigens einen Ehrenplatz. Sie musste sich nicht mehr mit anderen Töpfen und Pfannen die Küche teilen, sondern hing in Schulterhöhe an einem Haken im ersten Stock - gleich hinter Dominics Schlafzimmertür. Sie wurde zur Allzweckwaffe des Kochs; sollte er jemals auf der Treppe Schritte hören oder einen Eindringling (ob Tier oder Mensch), der in der Küche herumschlich, würde er nach ihr greifen.
    Dominic besaß keine Schusswaffe und wollte auch keine haben. Er war zwar in New Hampshire groß geworden, aber nie jagen gegangen - was nicht nur an seiner Knöchelverletzung lag, sondern auch daran, dass er ohne Vater aufgewachsen war. Die Jäger unter den Holz- und Sägewerksarbeitern brachten dem Koch ihr Wild. Der zerlegte die Tiere für sie und behielt genug Fleisch für sich, um gelegentlich im Kochhaus Hirsch oder Reh aufzutischen. Nicht dass Dominic die Jagd ablehnte, er mochte nur weder Wildbret noch Schusswaffen. Außerdem hatte er immer wieder denselben Traum, von dem er Daniel erzählt hatte und in dem er im Schlaf ermordet (in seinem Bett erschossen) wurde; und jedes Mal, wenn er aus diesem Traum erwachte, hallte der Knall des Schusses noch in seinen Ohren nach.
    Und so kam es, dass in Dominic Baciagalupos Schlafzimmer eine Bratpfanne hing. In der Küche gab es gusseiserne Bratpfannen in allen Größen, doch die mit zwanzig Zentimeter Durchmesser war zur Selbstverteidigung am besten geeignet. Sogar Danny konnte sie mit einiger Wucht schwingen. Die 26er- und 28er-Bratpfannen waren vielleicht besser zum Braten, aber zu schwer und darum als Waffen ungeeignet. Nicht einmal Ketchum könnte mit diesen größeren Pfannen schnell genug zuschlagen, um einen geilen Holzfäller oder einen Bären unschädlich zu machen.
    In der Nacht, nachdem Angel Pope unter die Stämme geraten war, lag Danny Baciagalupo in seinem Bett im ersten Stock des Kochhauses. Das Zimmer des Jungen war direkt über der sich nach innen öffnenden Fliegengitter- und über der wackligen Außentür, die er im Wind klappern hörte. Den Fluss hörte er auch. Im Kochhaus konnte man den Twisted River immer hören, wenn der Fluss nicht unter einer Eisschicht lag. Doch Danny war wohl genauso schnell eingeschlafen wie sein Vater, da er den Pick-up nicht kommen hörte. Es hatten auch keine Scheinwerfer in das Kochhaus hineingeleuchtet. Wer auch immer am Steuer des Pickups saß, hatte sich entweder einen Spaß daraus gemacht, in fast völliger Dunkelheit herzufahren - oder er war betrunken und hatte vergessen, die Scheinwerfer einzuschalten.
    Danny glaubte zu hören, wie die Fahrertür des Pick-ups ins Schloss fiel. Der tagsüber weiche Schlamm knirschte nachts unter den Stiefeln - nachts wurde es noch so kalt, dass der Schlamm gefror, und jetzt bedeckte ihn obendrein eine dünne Schneeschicht. Ich muss mich getäuscht haben, dachte der Junge; das
Plopp
hätte auch irgendein Geräusch in seinem Traum sein können. Doch dann hörte er wieder Schritte auf dem gefrorenen Schlamm vor dem Kochhaus, sie klangen wie ein Schlurfen - tapsig und vorsichtig. Vielleicht ist es ein Bär, dachte Danny.
    Der Koch hatte draußen vor der Küche eine Kühlbox stehen. Sie war zwar fest verschlossen, enthielt aber das Hackfleisch für das Lammhaschee, den Schinkenspeck und alle anderen leicht verderblichen Lebensmittel, die nicht in den Kühlschrank passten. Was, wenn der Bär das Fleisch in der Kühlbox gewittert hat?, dachte Danny.
    »Dad?«, rief der Junge, doch sein Vater schlief wohl tief und fest am anderen Ende des Flurs.
    Wie alle anderen auch hatte der Bär mit der Außentür offenbar Probleme; er schlug mit der Tatze dagegen, und Danny hörte auch ein Brummen.
    »Dad!«, rief Danny lauter. Er hörte, wie sein Vater die Bratpfanne von dem Haken an der Schlafzimmerwand riss. Wie sein Dad war der Junge in langer Unterhose und Socken zu Bett gegangen. Der Boden im Obergeschoss fühlte sich für Danny kalt an, trotz der Socken an seinen Füßen. Er und sein Dad tapsten nach unten in die von den flackernden Zündflammen des alten Garland-Herds schwach erhellte Küche. Der Koch hielt die schwarze Pfanne

Weitere Kostenlose Bücher