Sassinak
erstes kapitel
Als endlich jemand bemerkte, daß der Frachter überfällig war, kümmerte es niemanden. Die Feiern hatten vor zwei lokalen Tagen begonnen, als der letzte Kriechzug aus Zeebin eingetroffen war. Sassinak hatte mit dem Rest ihrer Mittelschule diesen Zug empfangen und geholfen, die Container mit persönlicher Fracht zu entladen, bevor sie zu einem Spaziergang durch die überfüllten Straßen aufbrach.
Im letzten Jahr war sie – gerade noch – zu jung gewesen, um sich diese Freiheit nehmen zu können. Selbst jetzt scheute sie noch ein wenig vor dem Lärm und dem Durcheinander zurück. In der Woche, wenn die Erzfrachter eintrafen und die Feierlichkeiten stattfanden, wuchs die Bevölkerung der City auf das Dreifache an. Alle Bauern, Bergarbeiter, Kriechzugtechniker oder Ingenieure – alle, die es einrichten konnten, und manche, die eigentlich keine Zeit hatten – kamen in die City. Sie schien diese Bezeichnung fast zu Recht zu tragen, wenn die Menschenmassen sich zwischen den Reihen vorgefertigter, eingeschossiger Gebäude wälzten, die der jungen Kolonie als Unterkunfts-, Lager- und Fertigungsräume dienten. Sassinak konnte so tun, als befände sie sich in den Außenbezirken einer echten Stadt, und die höheren Kuppeln und Blockhäuser der ursprünglichen Siedlung konnten mit einer gewissen Vorstellungskraft für die hoch aufragenden Gebäude stehen, die sie eines Tages auf den Welten zu besuchen hoffte, von denen sie in der Schule gehört hatte.
Sie machte vor sich ein Schulabzeichen aus und erkannte Caris’ neue (und leicht lächerliche) Frisur. Indem sie sich zwischen den dahinschlängelnden Massen von Bergarbeitern schob, die dazu verurteilt schienen, an jedem Eingang ins Stocken zu geraten, packte Sassinak ihre Freundin am Ellbogen. Caris wirbelte herum.
»Nicht …! Oh, Sass, du Idiotin. Ich dachte, du wärst …«
»… ein betrunkener Bergarbeiter. Klar.« Arm in Arm mit Caris fühlte sich Sassinak sicherer – und etwas erwachsener. Sie sah Caris von der Seite an, und Caris grinste zurück. Sie schwangen zu einer Parodie der erfolgreichen Holovid-Serie ›Carin Coldae – Die Superheldin‹ die Hüften und sangen einen Vers des Titelsongs. Jemand hupte hinter ihnen, und sie verfielen in Laufschritt. Auf der anderen Seite der Straße rief eine vertraute Stimme: »Da kommen die Skelettzwillinge«, und sie liefen schneller.
»Sinder«, sagte Caris etwa einen Block später, als sie abgebremst hatten, »ist eine Plage für den ganzen Planeten.«
»Nicht für den Planeten. Für das ganze Sonnensystem.« Sassinak sah ihre Freundin finster an. Sie waren beide lang und dünn und hatten Sinders Witze über die Skelettzwillinge schon öfter gehört, als irgendwer ertragen konnte.
»Für die ganze Galaxis.« Caris mußte immer das letzte Wort haben, dachte Sassinak. Sie mochte nicht recht haben, aber sie behielt das letzte Wort.
»Wir werden keinen Gedanken an Sinder verschwenden.« Sassinak durchwühlte mit den Fingern das Durcheinander von Sachen in ihrer Jackentasche und kramte ihren Credit-Ring hervor. »Wir können Geld ausgeben …«
»Und du bist meine Freundin!« sagte Caris lachend und schob sie sanft zur nächsten Eßbude.
Am nächsten Tag ging es auf den Straßen für Kinder zu ruppig zu, fanden jedenfalls Sassinaks Eltern. Sie versuchte sie davon zu überzeugen, daß sie kein Kind mehr sei, aber es hatte keinen Sinn. Sie nahm an, es hatte etwas damit zu tun, daß ihre Mutter nach einem Babysitter suchte und im Erholungszentrum des Blocks eine Party nur für Erwachsene stattfand. Caris besuchte sie, was es etwas erträglicher machte. Caris kam mit der sechsjährigen Lunzie besser zurecht als sie, und das bedeutete, daß Sass dem ›Baby‹ – nämlich dem dreijährigen Januk – Geschichten vorlesen konnte. Wenn Januk es nicht geschafft hätte, eine Dreimonatsration Zucker zu verschütten, als sie ohne Rezept Plätzchen zu backen versuchten, hätte es doch noch ein ziemlich guter Tag werden können. Caris schaufelte den Großteil des Zuckers in den Container zurück, aber Sass fürchtete, daß ihrer Mutter die braunen Krümel darin auffallen würden.
»Das ist nur Gewürz«, sagte Caris überzeugt.
»Ja, aber …« Sassinak rümpfte die Nase. »Was ist das? Ach, du lieber Himmel.« Die Kekse waren nicht ganz verbrannt, aber Sass sah gleich, daß sie den fehlenden Zucker nicht wettmachen konnten. Außerdem hatte sie keine Hoffnung, daß Lunzie die Sache für sich behalten
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