Shannara VI
Kapitel 1
Die Dämmerung senkte sich über die Vier Länder herab. Das Licht wurde langsam grau und die Schatten allmählich immer länger. Auch die Hitze des Tages begann nachzulassen, als der rote Feuerball der Sonne im Westen versank und die heiße, trockene Luft abkühlte. Die einsetzende Stille brachte die Welt zum Schweigen, und Blätter und Gras zitterten bei Tagesende in der Erwartung der kommenden Nacht.
Dort, wo der Mermidon sich in den Regenbogensee ergoß, erhob sich schwarz, undurchdringlich und stumm die Südwache. Der Wind strich über das Wasser des Sees und des Flusses, blieb aber dem Obelisken fern, als sei er bestrebt, zu einem verlockenderen Ort zu eilen. Die Luft schimmerte um den dunklen Turm, die Hitze strahlte in Wellen von seinem Gestein ab und bildete geisterhafte, umherschnellende und umherfliegende Umrisse. Ein einsamer Jäger am Ufer des Gewässers schaute furchtsam auf, als er vorbeiging, und setzte seinen Weg dann hastig fort.
Im Inneren gingen die Schattenwesen in geisterhafter Stille ihrer Bestimmung nach, mit Kapuzen bedeckt, gesichtslos und von ihrer Aufgabe erfüllt.
Felsen-Dall stand am Fenster, betrachtete das sich verdunkelnde Land und beobachtete, wie die Farbe von der Erde wich, während die Nacht verstohlen aus dem Osten herankroch, um sich in sich selbst zu sammeln.
Die Nacht, unsere Mutter, unser Trost.
Er stand in seinen dunklen Gewändern unbeweglich da, die Hände hinter dem Rücken verschränkt, die Kapuze von seinem grobknochigen, rotbärtigen Gesicht zurückgezogen. Er wirkte hart und gefühllos, und wenn er davon erfahren hätte, wäre er erfreut gewesen. Aber es war schon lange her, daß den Ersten Sucher seine Erscheinung interessierte - und es war lange her, daß er sich überhaupt die Mühe gemacht hatte, danach zu fragen. Sein Äußeres war unwichtig; er konnte alles sein, wichtig war nur, was in ihm glühte. Das gab ihm Leben.
Seine Augen brannten, während er über das, was war, hinausschaute zu dem, was eines Tages sein würde.
Zu dem, was verheißen war.
Er bewegte sich unmerklich, denn er war in der Stille des Turmes mit seinen Gedanken allein. Die anderen existierten für ihn nicht, sie waren Geister ohne Substanz. Unter sich, tief im Inneren des Turmes, konnte er die Geräusche der tätigen Magie hören, das tiefe Brummen ihres Atems, das Poltern ihres Herzens. Er lauschte darauf, ohne wirklich zu denken, eine Angewohnheit, die seinem unruhigen Geist Sicherheit verlieh. Die Macht war auf Seiten der Magie, aus dem Äther zu Substanz geworden, gestaltet und geformt und zweckgebunden. Das war das Geschenk der Schattenwesen, und es gehörte ihnen allein.
Ungeachtet der Druiden und anderer Wesen.
Er versuchte ein schwaches Lächeln, aber sein Mund weigerte sich zu gehorchen, so daß es in der festen Linie seiner Lippen verschwand. Seine behandschuhte linke Hand wand sich in der Umklammerung der bloßen Finger seiner Rechten. Macht für Macht, Stärke für Stärke. Auf seiner Brust schimmerte das silberne Wolfskopf-Emblem.
Wumm, wumm, erklang das Geräusch der tätigen Magie tief unter ihm.
Felsen-Dall wandte sich wieder der Dunkelheit des Raumes zu - eines Raumes, in dem bis vor kurzem Coll Ohmsford gefangengehalten worden war. Jetzt war der Talbewohner fort - entkommen, wie er glaubte, aber tatsächlich freigelassen und auf andere Art gefangengenommen. Fort, um seinen Bruder zu finden: Par.
Denjenigen mit der wahren Magie.
Denjenigen, der ihm gehören würde.
Der Erste Sucher trat vom Fenster fort und setzte sich an den blanken Holztisch. Das Gewicht seiner großen Gestalt ließ den zerbrechlichen Stuhl knarren, seine Hände falteten sich vor ihm auf dem Tisch, und sein rauhes Gesicht senkte sich.
Alle Ohmsfords waren wieder in den Vier Ländern, alle Nachkommen waren von ihrer Suche zurückgekehrt. Walker Boh war, trotz Pe Ell, von Eldwist zurückgekehrt, der Schwarze Elfenstein war zurückerlangt und seine Magie ergründet worden, Paranor war in die Welt der Menschen zurückgebracht und Walker selbst zum ersten der neuen Druiden geworden. Wren Elessedil war mit Arborlon und den Elfen von Morrowindl zurückgekehrt, hatte die Magie der Elfensteine neu entdeckt, kannte ihre eigene Identität und wußte von ihrem Erbe. Zwei der drei Aufgaben Allanons waren erfüllt worden. Zwei von drei Schritten waren getan.
Pars Aufgabe sollte die letzte sein: Finde das Schwert von Shannara. Finde das Schwert, und es wird die Wahrheit enthüllen.
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