Letzter Kirtag: Ein Altaussee-Krimi
Wand des Vorraums gelehnt, seine Uniformhose hing am linken Bein in Fetzen herunter und war an mehreren Stellen blutgetränkt, auch über seine Stirn zogen sich breite rote Streifen. Der Zivildiener war damit beschäftigt, die Reste seines Hosenbeines abzuschneiden und seine Wunden zu reinigen und notdürftig zu verbinden. Sein Bruder, der Georg, saß draußen auf der Terrasse, rechts und links von sich zwei Uniformierte, Gasperlmaier glaubte, die junge blonde Polizistin wiederzuerkennen, die schon zusammen mit ihrem Partner den Gaisrucker Marcel vom Bootshaus abgeholt hatte. Der Georg hatte offenbar den geringsten Schaden von allen davongetragen. Er wand sich noch immer vor Wut und schrie herum: „Die scheiß Wiener! Jetzt liegt sie die ganze Zeit zu Hause und heult! Und niemand kann mit ihr reden!“ Gasperlmaier begann ein Verdacht zu dämmern: Wer da zu Hause lag und heulte, das konnten nur die Evi oder die Natalie sein. Und der Georg war wohl auf die Idee gekommen, dass irgendwer aus dem Hause Naglreiter am Elend seiner Frau oder seiner Tochter schuld war. Und jetzt war der sonst so ruhige und verschlossene Georg womöglich auf die unselige Idee verfallen, sich an den Naglreiters rächen zu müssen, möglicherweise in Unkenntnis der Tatsache, dass von denen nur mehr die Judith am Leben war. Und zu ihrer aller Unglück hatte er dabei die Frau Doktor kampfunfähig geschlagen und auch ihm und dem Friedrich allerhand Blessuren zugefügt. Aber dass einer wie der Georg gleich durchdrehte, weil eine seiner Frauen zu Hause heulte? Das war doch eigentlich eher Alltag. Am Ende, dachte Gasperlmaier, wäre es vernünftig, gleich ein Kriseninterventionsteam zum Kitzer’schen Haushalt zu schicken, war sich aber dessen angesichts der eher traurigen Vorstellung der Frau Schwarz im vorliegenden Krisenfall doch nicht ganz sicher. Am besten würde es sein, selbst bei den Kitzerischen vorbeizuschauen, denn wenn hier aufgeräumt wäre, dann würde der Georg wahrscheinlich Richtung Verhör abtransportiert sein, während die Frau Doktor und der Kahlß Friedrich bereits mehr oder weniger auf dem Weg ins Krankenhaus waren. Er, dachte Gasperlmaier, würde jedenfalls die Stellung halten und die beiden nicht begleiten.
Im Haus gegenüber ging das Licht an und der eingefallene Brustkorb des Herrn Ingenieur Podlucki schob sich vor den Lichtkegel der Lampe. „Was ist denn da schon wieder für ein Lärm?“, krähte er mit seiner unangenehmen Stimme herunter. Der, dachte Gasperlmaier, hat uns zu unserem Glück noch gefehlt, und ihn packte der Zorn: „Ich schick Ihnen gleich ein Vernehmungsteam hinauf, Herr Podlucki, und wenn sich auch nur der geringste Verdacht gegen Sie ergibt, dann lass ich Sie vorläufig festnehmen und in Handschellen abführen, wenn Sie nicht sofort Ihr Fenster hinter sich zumachen!“ Podlucki wollte schon, wie Gasperlmaier zu erkennen glaubte, zu einer Entgegnung ansetzen, zog sich dann aber doch zurück und schloss das Fenster. Gar so mutig war er wohl auch wieder nicht.
Inzwischen hatte der Kahlß Friedrich, gestützt von zwei Rotkreuzleuten, ächzend den Weg nach draußen zum Krankenwagen angetreten, in den man die Trage mit der Frau Doktor darauf bereits eingeladen hatte. Ob der Zivi und die eher zierlich gebaute Sanitäterin, die Gasperlmaiers Splitter herausgezogen hatte, den Transport des Kahlß Friedrich unbeschadet überstehen würden, wagte Gasperlmaier nicht zu beurteilen. Ihm fiel auf, dass der Zivi auf der linken Seite schon etwas in die Knie ging, während sich die junge Frau noch tapfer aufrecht hielt. Der Kahlß Friedrich hatte dadurch etwas Schlagseite bekommen und lag noch schwerer auf den Schultern des Zivildienstleistenden. Gasperlmaier folgte der Gruppe hinkend nach draußen, wo sich bereits eine ansehnliche Zahl Schaulustiger um die beiden Rettungsfahrzeuge gebildet hatte. Zuckende Blaulichter schienen die Leute anzuziehen wie Motten das Licht. Gasperlmaier sah auch einige bekannte Gesichter unter den Gaffenden und lehnte sich erschöpft an den Türstock der Naglreiter’schen Haustür, weil sein Knie so sehr stach, dass er meinte, keinen weiteren Schritt tun zu können.
Zu viert half man dem Friedrich in den Ambulanzwagen, der sich darauf mit Blaulicht und Sirenengeheul einen Weg durch die Menge bahnte und um die nächste Straßenecke verschwand. Der Notarztwagen folgte. Gasperlmaier wandte sich um, denn das Letzte, was er jetzt wollte, war, den Leuten Rede und Antwort stehen zu
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