Letzter Kirtag: Ein Altaussee-Krimi
einer schwierigen Situation als die Frau Schwarz, dachte Gasperlmaier, er selbst jedenfalls hätte Trost aus der Hand und dem Mund der Frau Doktor dem der Frau Schwarz bei weitem, bei sehr weitem vorgezogen.
„Frau Naglreiter, ein letzte Frage“, probierte es die Frau Doktor noch einmal. „Gibt es Ihrer Meinung nach die Möglichkeit, dass der Stefan von der Tat Ihres Vaters erfahren hat, und dass er daraufhin die Nerven verloren hat und Ihren Vater …“ Sie ließ den Satz auslaufen. Die Judith blieb ruhig, was Gasperlmaier erstaunte, und zuckte mit den Schultern. „Was weiß denn ich, was der Stefan an dem Abend gemacht hat. Gesoffen hat er, wie der Papa auch, und ich hab ihn ja kaum einmal gesehen. Was weiß denn ich, was Männern so einfällt!“
„Judith, haben Sie selbst einen Freund?“, fragte die Frau Doktor, obwohl sie, wie Gasperlmaier nicht entgangen war, versprochen hatte, sie werde keine weitere Frage mehr stellen. Die Judith nickte. „Daniel heißt er. Studiert in Innsbruck. Ist aber nicht da gewesen, dieses Wochenende. Arbeitet im Landesmuseum, in Innsbruck.“
Ein lauter Donnerschlag ließ den Gasperlmaier aus seinem Sofa auffahren, ebenso den Friedrich, bei dem es ein wenig länger dauerte, bis er aus den Polstern fand. Die Frau Doktor hatte schon ihre Waffe gezogen und war zum Treppenabsatz gelaufen, die Judith unter ihrer Decke verschwunden. Wie wenn jemand heftig gegen eine große Glasscheibe schlägt, ohne sie zu zerbrechen, hatte es geklungen. Die Frau Schwarz zog eine weitere Zigarette aus ihrer Packung und zündete sie an, als ein lautes Krachen und danach ein Klirren ertönten. Nun glaubte Gasperlmaier eindeutig zu erkennen, dass eine Glasscheibe eingeschlagen worden war. Vielleicht war es auch ein Schuss gewesen, der ein Fenster getroffen hatte. Die Frau Doktor bedeutete dem Kahlß Friedrich und ihm, ihre Waffen zu ziehen und ihr zu folgen. Gasperlmaier fingerte nach seiner Dienstpistole. Noch nie hatte er sie benutzt, außer beim Schießtraining. Mit der Waffe in der Hand und einem Finger vor dem Mund wandte er sich zu Frau Schwarz um, um ihr zu bedeuten, keinen Laut von sich zu geben. Dabei richtete er versehentlich den Lauf der Waffe auf die Frau Schwarz, die einen markerschütternden Schrei von sich gab. Auf die aufgeregten Handbewegungen des Gasperlmaier, die er mit der Waffe in der Hand vollführte, und sein energisches „Pscht“ reagierte sie mit einem kurzen Atemholen und weiteren spitzen Schreien. Gasperlmaier wandte sich verzweifelt ab.
Die Frau Doktor und der Kahlß Friedrich waren schon treppab verschwunden. Als Gasperlmaier gerade die oberste Treppenstufe erreichte, hörte er unten einen Schrei, dann ein Poltern und ein Krachen, der Kahlß Friedrich brüllte los, und plötzlich stand auch Gasperlmaier mitten im Geschehen und seinen Augen bot sich ein fürchterlicher Anblick. Die Frau Doktor Kohlross lag hingestreckt, ohne irgendein Lebenszeichen von sich zu geben, mitten in einem Meer von Glasscherben. Ihr Gesicht war Gasperlmaier zugewandt, und zu seinem Schrecken machten sich gerade feine Fäden hellroten Blutes auf ihren Weg vom Haaransatz über die Stirn und die Wangen. Viel Zeit blieb Gasperlmaier allerdings nicht, sich über die Frau Doktor Gedanken zu machen, denn nur ein paar Schritte neben der auf dem Boden Liegenden rang der Kahlß Friedrich mit einer langen, dürren Gestalt und brüllte dabei immer wieder: „Georg! Georg!“ Der Dürre, so erfasste Gasperlmaier, war wendig und schnell, der Kahlß Friedrich dafür stärker. Sekunden vergingen, in denen Gasperlmaier zögerte, ob er dem Kahlß Friedrich beispringen oder sich um die Frau Doktor kümmern sollte. Enthoben wurde er dieser Entscheidung dadurch, dass die beiden Kampfhähne in seine Richtung gerieten und ihn von den Beinen rissen. Außer dass der Gasperlmaier den Friedrich brüllen hörte, hörte er noch, wie sein Kontrahent immer wieder schrie: „Die haben sie zugrunde gerichtet! Die Schweine aus Wien, die ganze Bagage!“ Gasperlmaier geriet in einen Strudel aus Glasscherben, Armen, Beinen, Knien, die ihm ins Gesicht gestoßen wurden, Schreien und Schmerzen. Schließlich saß vor ihm der Georg auf dem Boden, der Bruder des Kahlß Friedrich, der dem Georg in einer gewaltigen Kraftanstrengung die Arme auf den Rücken gedreht haben musste. Während der Friedrich immer noch „Georg! Georg!“ schnaufte, lamentierte der nunmehr Gebändigte immer weiter: „Und jetzt liegt sie nur mehr im Bett und
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