Leuchtfeuer Der Liebe
sich gegen den Sturm auf die ringenden Männer zu. Von dem Tosen des Sturms erwachte das Baby und begann zu weinen. „Jesse!" schrie Mary wieder.
Er wandte ihr den Blick zu, flüchtig nur, doch Granger nutzte seine Chance und stieß Jesse gegen die Reling. Er zog etwas aus dem Stiefelschaft und riss den Arm hoch.
Die Schneide eines Messer blitzte auf.
Mary kämpfte sich zu Jesse vor und wusste, dass sie ihn nicht rechtzeitig erreichen würde. Die Zeit schien stillzustehen in diesem schrecklichen Moment des Grauens. Sie sah den Bogen, den die Klinge beschrieb, die Messerspitze, die nach Jesses entblößtem Hals zielte.
Eine Explosion zerriss die Nacht wie ein Donnerschlag oder ein Kanonenschuss. Im gleichen Augenblick sah Mary, wie Granger sich aufbäumte, hochgehoben wurde wie von einer unsichtbaren Riesenhand. Ein dunkler Fleck bildete sich auf seiner Brust, der sich rasch vergrößerte. Sie sah ihn sterben, ehe er taumelte und rückwärts über die Reling ging.
Bebend drehte sie sich langsam um. Annabelle stand gekrümmt gegen den Mast gelehnt und hielt die Smith & Wesson mit beiden Händen umklammert.
Der fahle Schein einer regnerischen Morgendämmerung riss den Horizont auf und tauchte die Küste in düstere Grautöne. Magnus und Judson hatten alle Männer mit Pferden aus der Umgebung zusammengetrommelt. Die Retter stürzten sich in die Brandung und kämpften sich dem Lotsenboot entgegen, in dem die erschöpften Überlebenden kauerten.
Und ein Toter geborgen war.
Granger Clapps Leichnam lag unter einem völlig durchnässten Segeltuch im Heck.
Fiona und Hestia in wetterfesten Regenhäuten und Gummistiefeln stürzten sich auf Annabelle, hüllten sie in Decken und eilten mit ihr fort. Jesse wusste, dass sie seine Schwester ins Swann-Haus brachten, und hoffte, dass sie sich dort rasch erholen würde.
Im Gehen warf Annabelle einen Blick über die Schulter, das grau verschleierte Morgenlicht erhellte ihr verhärmtes Gesicht, der nachlassende Wind zauste an ihren nassen Haarsträhnen. Sie suchte Jesses Blick, legte ihre bebende Hand ans Herz und dann an die Lippen. Er erkannte den Blick einer Frau, die gegen tödliche Dämonen gekämpft und überlebt hatte. Ihm war in dieser Nacht das Gleiche geschehen.
„Sie wird es überstehen", sagte Mary, die ihr Baby in den Armen hielt und sich an Jesse schmiegte, als brauche sie die Gewissheit, dass er lebte und bei ihr war.
„Ja." Jesse legte die Hand an ihre Wange. „Sie wird es sicher überstehen."
„Und wir?" flüsterte Mary. „Werden wir es überstehen?"
„Ich hoffe es", sagte er und presste die Lippen an ihr salzverkrustetes Haar. „Wenn du mir verzeihen kannst", fügte er hinzu.
Sie hob den Kopf und blickte ihm in die Augen. Behutsam tastete sie über die Schwellung an seinem Wangenknochen, wo Grangers Faust ihn getroffen hatte, dann über seine aufgeplatzten, blutigen Lippen. „Ein Mann braucht keine Vergebung von einer Frau, deren Leben er gerettet hat - zwei Mal", sagte sie. „Du hast alles riskiert. Ich fasse es kaum, dass du dich auf die See hinausgewagt hast - in dieser stürmischen Nacht -, um uns zu retten."
„Dich in meinem Leben zu wissen war jedes Risiko wert." Er war völlig ausgelaugt und erschöpft, dennoch spürte er, wie ihn neue Lebenskraft durchströmte. Er hatte das lähmende Grauen besiegt, das Grauen, die Menschen, die ihm das Liebste auf der Welt waren, an die See zu verlieren. Er hatte sich dem Kampf gestellt und gesiegt.
„Mary." Und dann sprach er die Worte aus, die sein Herz vor langer Zeit formuliert hatte, die sich nicht hatten verdrängen lassen. Er war am Ziel einer langen Reise angelangt - einer Seelenreise, die zwölf Jahre gedauert hatte und endlich vorüber war. „Je mehr ich aus der Quelle schöpfe, die unsere Liebe erschaffen hat, desto mehr Kraft finde ich, von der ich nicht gewusst habe, dass es sie gibt."
Ein Schwärm Seemöwen flog über ihre Köpfe hinweg und verkündete mit klagenden Schreien das Ende des Sturms. Aus Marys Augenwinkel stahl sich eine Träne. „Ach, Jesse, so habe ich dich nie reden hören. Du bist ein wahrer Poet, Liebster. Ich..."
„Diesmal bin ich dran", unterbrach er sie und legte ihr einen
Finger an die Lippen. „Ich bin an der Reihe, es zu sagen. Ich liebe dich, Mary."
Sie nickte und lachte unter Tränen. „Ich weiß. Habe ich es dir nicht von Anfang an gesagt?"
„Ja, von Anfang an", gestand er, legte den Arm um ihre Mitte und führte Mary den gewunden Felspfad
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