Leute, das Leben ist wild
ihr einen Gefallen zu tun, mit ihr besagten Einbruch bei Pia begangen. Nun könnte ich sie mal ausnahmsweise zum Reden gebrauchen, um eine zweite Einschätzung der Situation einzuholen, aber leider hat sie
sich ja vom Acker gemacht. Ich weiß, man soll nicht so über Tote sprechen und es ist schlimm genug, dass Alina, trotz meiner permanenten Zuhörerschaft, beschlossen hat, sich umzubringen. Jetzt werde ich jeden Geburtstag daran denken müssen, wie Arthur sie aus den Fluten gezogen und versucht hat, sie wiederzubeleben. Ich fasse es nicht. Alina, das ist scheiße! Mann, sie fehlt mir so sehr. So sehr. Wie ich wünschte, dass sie jetzt plötzlich mit ihrer bekloppten Zahnspange hereinkommt, sich in ihren schwarzen, engen Röhrenjeans und ihrer bekloppten Frisur auf meine Bettkante setzt, sodass ihre hochgestellten Haare wippen, und mich anguckt. Sie soll mich einfach nur fragen: »Was geht?« Und ich würde sagen: »Was schon? Chaos!«
Sie würde wissend nicken und einen Spruch abgeben, von wegen: »Ich bin auch echt verwundert, wie das Leben läuft.« Und dann würden wir lachen und noch mehr Sprüche machen, die uns daran erinnern, wie gut wir miteinander befreundet sind und dass wir einen ähnlichen Blick auf diese absurde Welt haben.
Meine Schwester kann ich auch nicht anrufen, weil die - seit Mama mit Samuel am Rummachen ist - mit ihrer Mimi alle Hände voll zu tun hat. Viel Spaß, kleine Mimi, kann ich da nur sagen. Du hast noch einen steinigen Weg vor dir. Das kann ich dir ganz klar prophezeien, ich spreche aus Erfahrung.
Jetzt bleibt mir nur noch eine Option: Johannes. Den rufe ich jetzt an, auch wenn ich da gleich wieder in schwierige Gefilde vordringe, weil unsere Freundschaft ja nun auch nicht ganz unbelastet ist. Wie ich nicht müde werde zu betonen: Ich bin noch immer seltsamerweise in ihn verliebt, obwohl die Geschichte zwischen uns schon
lange vorbei ist - gezwungenermaßen. Dennoch ist die Sache, um ehrlich zu sein, nicht ganz ausgestanden. Das wissen wir beide.
Ich ziehe mein Handy aus der Blechdose, die unter meinem Bett steht, weil meine Mutter Angst hat, dass ich ohne diese Schutzmaßnahme einen Gehirntumor kriege. Wie auch immer. Ich wähle Johannes’ Nummer, sein Name leuchtet verheißungsvoll auf dem Display. Es tutet. Ich hoffe so sehr, dass er nicht drangeht, damit ich meine stotternde Stimme nicht hören muss. Ich weiß nämlich gar nicht, was ich sagen soll. Also drücke ich wieder auf aus. Und mein Herz schlägt mir bis zum Hals. Diesen Anruf könnte ich natürlich einfach als einen Anruf unter Freunden verstehen, von wegen, dass ich einen Menschen, der mir sehr nahe steht, um Beistand bitte. Ich will ja nur, dass er den Arm um mich legt, während um mich der Wahnsinn seine Wogen schlägt. Er ist nur ein guter Freund. Das sage ich mir immer wieder. Es ist gar nicht nötig, dass meine Stimme zittert und ich ein schlechtes Gewissen gegenüber Arthur habe. Ist es eigentlich egoistisch, sich zu wünschen, dass der Mensch, den man gerade braucht, mehr für einen da ist als für die Welt, von der er behauptet, dass sie ihn braucht? Oder ist Arthur größenwahnsinnig, weil er meint, dass er die Welt retten kann? Und was ist mit mir?
Mein Handy vibriert in meinen kalten Händen. Augenblicklich muss ich lächeln, weil ich natürlich weiß, wer das ist. Ich nehme das Telefon hoch und bevor ich überhaupt realisiere, dass es Arthurs Name ist, der auf dem Display aufleuchtet, nehme ich auch schon ab. Ich bin verwirrt. Ich war so sicher, dass es Johannes sein würde.
»Ja?«
Und ich bin verärgert. Dass Arthur mich gerade in meinem komplizierten Unterfangen unterbricht, in meinem Versuch, ein bisschen für Klarheit oder - im Gegenteil - für Unordnung zu sorgen.
Seine Stimme klingt irgendwie nervös und dunkel. »Wo bist du?«
»Zu Hause, in meinem Zimmer.«
»Ich komme rüber.«
»Jetzt?«
»Ja, dann können wir reden.«
»Worüber?«
»Über uns.«
Bevor ich widersprechen kann, hat Arthur schon aufgelegt, und meine Hände sinken mit dem Handy zurück auf meinen Bauch. Ich mag jetzt nicht, dass Arthur kommt. Ich war doch nun gerade dabei, mit Johannes Kontakt aufzunehmen. Kann ich denn nicht einmal selbstbestimmt etwas zu Ende bringen? Muss mir dauernd jemand dazwischenfunken? Schon klopft Arthur an meine Fensterscheibe und in meinen Händen vibriert erneut das Handy. Augenblicklich bekomme ich Magenkrämpfe und ein schlechtes Gewissen. Herrlich! Auf dem Display leuchtet Johannes’
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