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Leute, das Leben ist wild

Titel: Leute, das Leben ist wild Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alexa Hennig Lange
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ich mich hilflos fühle. Ich kann ziemlich kategorisch sein, wenn ich Angst habe, dass mir wehgetan werden könnte. Jetzt liege ich auf meinem Bett in meinem Zimmer und schiele rüber zum Fenster. Hinter dem Glas wehen die Rosenbüsche in voller und schwerer Blüte, gerade hat es wieder einen kurzen Schauer gegeben. Darüber steht gleißend hell die Sonne, Tropfen glitzern auf den schweren Blüten, und ich kann ihren Duft förmlich durch die Fensterscheibe aufsaugen. Die Bienen summen darüber und wissen von nichts, nichts von meinem Kloß im Hals. Ich schließe die Augen und mein Bett dreht sich mit mir, immer schneller im Kreis, und ich weiß nicht, wer es je wieder anhalten könnte. Es ist, als wäre es drauf und dran, mich hinaus ins Universum zu schleudern, zu den Sternen und direkt rein in die Ewigkeit. Arthur ist noch nicht einmal weg und dennoch fühlt es sich so an, als sei er aus der Welt. Als sei er selbst in den Orbit hinausgeflogen, auf seiner eigenen Umlaufbahn unterwegs, ohne jemals vorzuhaben, wieder heimzukehren. Dabei steht nur die Reihenhausmauer zwischen uns. Ist es nicht seltsam, wie sehr man sich von einem zum nächsten Moment innerlich entfernen kann? So sehr, dass es wehtut und man nicht mehr an Rettung glaubt.

    Ich wälze mich auf den Rücken und das Bett steht wieder still. Dann höre ich Mama, die durch den Flur geht und mit jemandem spricht: »Hast du Hunger?«
    »Was ist das denn für eine Frage?« Das ist Samuel. Er ist hier.
    Mamas Stimme klingt irgendwie hohl. »Entschuldige, ich bin eben eine Mutter und wollte dir was Gutes tun.«
    Waren sie schon die ganze Zeit hier? Ich dachte, ich bin allein zu Hause und meine Mutter ist bei Samuel. »Dann verlass mich nicht.« Was ist da jetzt los? Hat meine Mutter Samuel abgesägt? Das werde ich gleich mal rausfinden müssen. Scheint so, als müsste ich doch nicht gleich mein neues WG-Zimmer beziehen und meinen Balkon bepflanzen. Schade, denke ich fast. Jetzt habe ich mich innerlich schon fast drauf eingestellt, Balkone zu bepflanzen. Das ist ja mein geheimes Hobby. Balkone bepflanzen. Haha. Mama und Samuel gehen an meiner Zimmertür vorbei, Richtung Küche. Vermutlich führen die da jetzt neben dem Kühlschrank ein ernstes Gespräch. Ich will mich ja nicht beklagen, aber vor knapp einer Woche hatte ich Geburtstag und da sah mein Leben noch komplett anders aus. Da hatte ich eine Mutter und einen Vater, die beide zu Hause gewohnt haben, und eine beste Freundin, die noch am Leben war. Dafür noch kein beschissenes WG-Zimmer, das mir, ohne dass ich darum gebeten hätte, vermittelt wurde. Nun habe ich eine Mutter, die jetzt schon wieder die Ex-Freundin von dem wahnsinnigen Cousin meines Ex-Freundes ist, in den ich irgendwie noch immer verliebt bin, obwohl ich bis eben noch einen Freund hatte, der sich allerdings lieber um Umweltverbrechen kümmert, als sich ein wenig meiner geschundenen Seele anzunehmen. Dafür leidet mein Vater
unter einer Midlife-Crisis und verlangt, dass ich seiner verlassenen Ehefrau, also meiner Mutter, erkläre, dass er sie aus der Tiefe seines Herzens liebt und zurückwill. Zumindest habe ich das vorhin so verstanden. Warum sagt er es ihr nicht selber? Warum fungiere ich schon wieder als Mittelsmann? Vermutlich, weil ich inmitten dieses Scherbenhaufens stehe. Es wäre nett, wenn mir ausnahmsweise mal jemand die Hand reichen würde, damit ich da wieder rauskomme. Stattdessen streichen die Leute - bildlich gesprochen - Sekundenkleber unter meine Sohlen und kleben mich richtig in den Scherbenhaufen rein, sodass mir nichts anderes übrig bleibt, als mich dem Schicksal mit jeder Faser meines Körpers zu stellen. Schönes Ding. Dann wollen wir mal: Als Erstes muss ich mich von meiner besten Freundin verabschieden, die beschlossen hat, sich ausgerechnet zu meinem Geburtstag und vor meinen Augen im Fluss zu ertränken. Das besonders Beschissene daran war allerdings, dass es sich meine lebensmüde Freundin in den reißenden Strudeln noch einmal anders überlegt hatte und doch nicht sterben wollte. Wobei meine Therapeutin Frau Thomas, die in den letzten Tagen die Einzige war, die mir mal kurz zugehört hat, gemeint hat, dass Alina es garantiert nach erfolgreicher Rettung wieder versucht hätte.
    Gerade bin ich ziemlich sauer auf Alina. Ich meine, ich will mich nicht in den Vordergrund drängen, aber ich habe ihr in den letzten Jahren echt oft zugehört, wenn es ihr schlecht ging, und ihr ging es sehr oft schlecht. Ich habe sogar, um

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