Leute, ich fuehle mich leicht
Alarmbereitschaft ist. So als hätte sie Sorge, ich könnte schon wieder kollabiert sein.
»Lelle?«
Und meine Schwester brüllt zurück: »Keine Panik. Die wird schon nicht kollabiert sein!«
Das allerdings passiert mir in letzter Zeit tatsächlich öfter. Schön ist es nicht gerade, aber interessant. Die Besinnung zu verlieren, ist wie sterben, würde ich sagen. Wenn es wieder so weit ist, kriege ich die totale Paranoia, weil ich merke, dass mich irgendeine kosmische Kraft aus meinem Körper zieht, durch so einen dunklen Kanal, in die Ewigkeit hinein. Ohne dass ich etwas dagegen tun könnte. In diesem dunklen Kanal geht es albtraummäßig her. Da passieren die schlimmsten Dinge mit mir. Ich werde von bösen Männern zerhackt, in die Wüste geschleppt und verscharrt. Wenn ich wieder zu mir komme, schreie ich wie am Spieß, und Mama hockt bereits neben mir und tätschelt mir die Wange.
»Lelle?«
Aus Erfahrung weiß ich, Mama gibt erst Ruhe, wenn ich ihr ein Lebenszeichen gebe. Ich gehe also hinaus in den Flur. Mama ist nicht zu sehen. Offenbar hält sie sich in der Küche auf und hat nichts von den jüngsten Ereignissen zwischen Helmuth und Cotsch mitbekommen. Ich will gerade zu ihr, da schießt mir meine Schwester mit glühenden Augen aus ihrem Zimmer entgegen. Sie ist noch ordentlich am Pumpen. Ihre Haare stehen zu Berge und ihre Stimme zittert.
»Lelle, ich brauche deine Jeans. Sofort!«
»Welche?«
»Na, die, die du anhast.«
»Warum?«
»Weil ich heute Abend zum Chor gehe.«
»Wozu brauchst du da meine Jeans?«
»Frag nicht so blöd.«
Meine Schwester lebt echt in einer anderen Realität. Mit ihren Jennifer-Lopez-Kurven passt die doch gar nicht in meine Hosen rein.
Ich sage: »Da passt du doch gar nicht rein.«
»Du bist so scheiße, Lelle! Ich hasse dich!«
Und zack!, gibt mir Cotsch einen ordentlichen Schubs, sodass ich ungünstig gegen meinen Türrahmen geschleudert werde, und ihre Zimmertür knallt wieder zu. Dahinter höre ich dumpfe Schläge und wie irgendetwas irgendwogegen geschmissen wird. Wahrscheinlich war es Cotsch selbst. Ihre Spezialität ist es, ihren Kopf rhythmisch gegen die Zimmertür zu schlagen, um Druck abzulassen. Früher habe ich das auch mal versucht, aber nachdem ich gehört habe, dass man davon Gehirnblutungen bekommt, lasse ich es lieber.
»Lelle?«
Das war jetzt wieder Mama von irgendwoher. Eins kann man sagen: Sie verpasst nie ihren Einsatz.
»Ja-ha!«
»Was ist denn hier los?«
»Nichts!«
Um ihr zu signalisieren, dass ich noch am Leben bin, gehe ich die kleine Treppe hinunter, über das spiegelnde Parkett, ins Wohnzimmer hinein. Irgendwo muss Mama ja sein. Durch die Fensterfront drückt sich das satte Grün des Gartens, die gelben Blättchen der Akazie segeln auf den Gartentisch, dahinter strahlt der wolkenlose blaue Himmel. Ich höre, wie Mama in der Küche einen schweren Topf auf den Herd schiebt.
»Kätzchen, hilfst du mir beim Marmeladekochen?«
Offenbar hat sie wirklich keinen Schimmer von den Vorgängen im vorderen Teil des Wohnhauses. So soll es bleiben.
Ich schwebe durch den Durchgang und erkläre ihr mit harmloser Miene: »Eigentlich wollte ich gerade töpfern.«
»Hast du die Folie wieder fest um den Ton gefaltet?«
»Ja-ha.«
Mama bindet sich ihre Geschirrhandtücher um, und ich hocke mich auf die Fensterbank und sehe zu, wie sie an der Spüle fünf Kilo Erdbeeren wäscht und hundert Äpfel schält. Ich frage mich, warum Mama nicht einfach die Marmelade fertig kauft - wo sie doch dauernd davon spricht, dass man sich als Frau nicht versklaven lassen sollte. Auf der anderen Seite ist dieser Obst- und Gemüseduft natürlich auch der Duft meiner Kindheit. Ich ziehe die Beine zu mir heran und von draußen kommt die orangewarme Nachmittagssonne herein. Und immer wenn die Sonne derart scheint, klumpt sich alles in mir zusammen, und ich frage mich, wo das kleine Mädchen ist, das ich einmal war. Ich sehe durch die große Scheibe, auf der Regentropfen getrocknet sind, und plötzlich sehe ich mich, wie ich im Röckchen und in Kniestrümpfen den schmalen gepflasterten Weg zwischen den Elefantengräsern entlanggelaufen komme.
Mama lässt die Erdbeeren in den Topf neben der Spüle plumpsen. »Was ist los, mein Kind?«
»Nichts.«
»Willst du nicht wenigstens einen halben Apfel essen? Der tut dir doch nicht weh.«
»Ich kann nicht.«
»Warum denn nicht?«
»Weil ich Angst davor habe.«
»Vor einem Apfel?«
Ich schlucke. Ich wanke und schwanke von
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