Leute, mein Herz glueht
ist schlappe dreißig Jahre älter als sie! Ich meine, er könnte ihr Opa sein! Aus den Augenwinkeln sehe ich rüber zu Papa, um seine Reaktion zu überprüfen. Helmuth wäre - wie gesagt - nicht der Erste, den er aus dem Haus jagt. Mama blinzelt ebenfalls intuitiv zu Papa rüber. Sie weiß: Noch einmal darf er sich so einen Ausfall nicht erlauben, wenn Cotsch nicht vollkommen traumatisiert werden soll.
Leider kann ich keine Entwarnung geben.
Papa atmet gefährlich durch den Mund ein und aus, am Hals tritt seine Hauptschlagader hervor, seine Hand ballt sich um den Stiel vom Sektglas. Und Mama atmet gar nicht mehr. Die hat die Augen bis zum Anschlag aufgerissen und versucht, etwas Schlaues zu sagen. Aber es kommt nur Gestammel heraus. »Ja, das ist ja nett. Sicher wollt ihr nicht sofort... Ich meine, Helmuth, willst du noch ein Stück Kuchen?«
Der alternde Helmuth schüttelt den Kopf und hebt beschwichtigend die Hand. »Ich weiß, ich weiß. Constanze ist noch relativ jung. Aber erlaubt mir die Bemerkung, dass sie dennoch eine sehr erfahrene Frau ist.«
Das schlägt dem Fass den Boden aus! Eine »sehr erfahrene Frau«. Ich lache mich tot. Damit meint er garantiert ihren sexuellen Facettenreichtum.
Endlich fängt Mama wieder an zu atmen. Eilig steckt sie sich ihre halbe Beruhigungspille in den Mund und meint mit ganz monotoner Stimme: »Ich dachte, die Sache zwischen euch sei vorbei.«
Cotsch setzt sich aufrecht hin, zupft ihren tiefen Blusenausschnitt zurecht und meint: »Das war sie auch. Aber dann habe ich erkennen dürfen, dass Helmuth der Richtige für mich ist.«
Mama flüstert erschlagen: »Wann?«
»Letzten Montag.«
Mama starrt entsetzt zu Papa rüber, aber der schüttelt nur den Kopf. »So ein Quatsch.«
Das hätte er besser nicht sagen sollen. Gleich legt Helmuth beschützend den Arm um Cotschs Schulter, doch die macht sich augenblicklich wieder frei und fegt mit einer geübten Armbewegung das Geschirr vom Tisch runter auf die Steinplatten. Dass es kracht.
Sie brüllt: »Das ist überhaupt kein Quatsch! Das ist Liebe! Wenn ihr es nicht ertragen könnt, dass eure Tochter liebt, dann habt ihr Pech gehabt. Ich heirate Helmuth. Egal ob es euch passt oder nicht. In den Herbstferien fliegen wir nach Las Vegas.«
Mama kippt nun doch fast vom Stuhl. Runter, zum zerschlagenen Geschirr. »Was macht ihr?«
Mit Müh und Not klammert sie sich an der Tischkante fest, während Papa immer weiter den Kopf schüttelt, als würde er unsichtbare Fliegen verscheuchen. »Das darf doch alles nicht wahr sein.«
Helmuth strafft sich und bemerkt mit erstaunlich fester Stimme: »Wir fliegen nach Las Vegas. Ein bisschen Spaß muss sein.« Dann steht er auf, klopft mir kameradschaftlich auf die Schulter und meint: »Lelle, ich hoffe, wir haben zumindest deinen Segen.«
Ich hebe müde die Hand und sage: »Ja, klar.«
Bevor noch irgendjemand seine Bedenken loswerden kann, quetscht Helmuth sich hinter mir vorbei und verschwindet mit an Cotsch adressierter Kusshand zwischen den Sträuchern. »Bis später, Bella.«
Ich muss sagen: Er hat gute Manieren.
»Schatzi, warte!« Wie von der Tarantel gestochen, springt meine Schwester auf und rennt ihrem angehenden Ehegatten hinterher. »Warte!«
Und schon wird sie ebenfalls von der herbstlichen Vegetation verschluckt. Ich starre auf das stumme Handy in meiner Hand und flehe es in Gedanken an, doch endlich zu klingeln. Ich denke, wenn ich meine Schwingungen aussende, dann spürt Johannes die und meldet sich. Doch Mama stört erheblich meine Frequenzen. Mit einem lauten Seufzer kniet sie sich runter auf die Steinplatten und fängt an, die Scherben aufzusammeln, während sich Papa vor Aufregung noch ein Stück Kuchen in den Mund stopft. Dann sieht er mich mit geröteten Augen an und fragt: »Hilfst du mir beim Laubzusammenfegen?«
»Von mir aus.«
Und Mama presst hervor: »Ich leg mich mal kurz hin.«
Das macht sie immer, wenn die Wirklichkeit wieder zugeschlagen hat. Dann zieht sie oben in ihrem »Lesezimmer« die dunklen Vorhänge zu und gönnt sich ein großes Glas Baileys. Damit hockt sie sich auf ihren Korbstuhl und wartet darauf, dass die Welt mit lautem Getöse untergeht. Papa funktioniert in der Beziehung ganz anders. Bei Stress wird der total aktiv und will manisch für Ordnung sorgen. Also haben Cotschs Extravaganzen auch immer einen guten Nebeneffekt. Unser Heim ist in einem Top-Zustand. Ganz im Gegensatz zu unseren Nerven.
3
L eute, es ist etwas Irres passiert!
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