Lewis, CS - Narnia 2
die Bäume grün sind und der alte Silen auf seinem plumpen Esel zu Besuch kommt.
Ja, manchmal käme sogar Bacchus selbst, und dann flösse in den Bächen statt des Wassers Wein, und der ganze Wald verwandle sich für viele Wochen in Lustbarkeit.
»Das alles gibt es nicht mehr. Jetzt ist immerzu Winter«, schloß er verdrießlich. Und dann entnahm er einer Schachtel auf der Anrichte eine kleine sonderbare Flöte; sie sah aus wie aus Stroh geflochten. Und um sie aufzuheitern, begann er zu spielen. Aber während er spielte, bekam Lucy den Wunsch, zu lachen und zu weinen, zu tanzen und zu schlafen, alles zu gleicher Zeit. Stunden mußten verflossen sein, als sie sich wach rüttelte und sagte: »O Herr Tumnus, es tut mir leid, Sie zu unterbrechen. Ihr Spiel ist wunderschön, aber wirklich, ich muß nach Haus. Ich wollte ja nur wenige Minuten bleiben.«
Der Faun legte seine Flöte nieder und schüttelte bekümmert den Kopf. »Im Augenblick ist es nicht ratsam, sich hinauszubegeben.«
»Nicht ratsam?« fragte Lucy. Sie sprang auf und war recht erschrocken. »Was wollen Sie damit sagen? Ich muß sofort heim. Die andern werden sich wundern, wo ich geblieben bin.« Aber gleich darauf fragte sie: »Herr Tumnus, was haben Sie denn?« Die braunen Augen des Herrn Tumnus hatten sich mit Tränen gefüllt, schon tropften sie auf seine Wangen, liefen ihm über die Nase, und schließlich bedeckte er sein Gesicht mit beiden Händen und schluchzte.
»Herr Tumnus, Herr Tumnus«, rief Lucy bestürzt.
»Nicht doch, nicht doch! Was fehlt Ihnen denn? Fühlen Sie sich nicht wohl? Lieber Herr Tumnus, so sagen Sie es mir doch. Ist Ihnen schlecht?« Aber der Faun schluchzte weiter, als wollte ihm das Herz brechen. Ja, sogar als Lucy ihn umarmte und ihm ihr Taschentuch reichte, hörte er nicht auf zu weinen. Er nahm das Tuch und benutzte es; sobald es zu naß war, wand er es aus, und Lucy stand schließlich fast in einer Pfütze.
»Herr Tumnus!« schrie sie ihm ins Ohr und schüttelte ihn. »Hören Sie doch auf! Hören Sie sofort auf! Ein großer, erwachsener Faun wie Sie! Schämen Sie sich doch! Warum weinen Sie eigentlich so sehr?«
»Ach«, schluchzte er, »ich weine, weil ich ein so böser Faun bin.«
»Ich glaub’ gar nicht, daß Sie ein böser Faun sind. Sie sind der netteste Faun, den ich jemals getroffen habe.«
»Wenn Sie alles wüßten, dann würden Sie das nicht sagen. Ich bin wirklich ein böser Faun. Ich glaube, seit Weltbeginn gab es keinen schlechtem.«
»Aber was haben Sie denn getan?«
»Mein alter Vater – dort über dem Kamin hängt sein Bild – hätte niemals Derartiges getan.«
»Was denn?« fragte Lucy.
»Das, was ich tat.« Der Faun schluchzte weiter. »Diener der Weißen Hexe zu werden! Das bin ich nämlich. Ich stehe in ihrem Sold.«
»Die Weiße Hexe? Wer ist denn das?«
»Ei nun! Sie hat ganz Narnia unter ihrer Fuchtel. Sie macht immerzu Winter. Immerzu Winter und niemals Weihnachten! Stellen Sie sich das einmal vor!«
»Wie schrecklich«, sagte Lucy. »Aber wofür bezahlt sie Sie denn?«
»Das ist ja das Schlimmste von allem«, klagte Herr Tumnus mit einem Seufzer. »Ich bin ihr Werber, ihr Menschenfänger. Ja, das bin ich. Sehn Sie mich nur an, Evastochter. Würden Sie das für möglich halten? Ich gehörte zu der Sorte von Faunen, die arme, unschuldige Kinder, wenn sie ihnen im Walde begegnen, Kinder, die ihnen niemals etwas zuleide getan haben, freundlich in ihre Höhle einladen, nur um sie einzulullen und dann der weißen Zauberin auszuliefern.«
»Nein«, sagte Lucy, »so etwas könnten Sie nie tun.«
»Doch, ich tat es!« jammerte der Faun.
»Nun denn«, begann Lucy möglichst ruhig, sie wollte nicht zu schroff mit ihm sein, sondern ihn trösten, »das war wirklich schlecht, aber da es Ihnen so leid tut, werden Sie es nun bestimmt nicht wieder tun.«
»Ach, Evastochter, Sie verstehn mich gar nicht. Ich erzähle nicht nur so irgend etwas. Ich habe es nicht schon früher getan. Ich tue es eben jetzt.«
»Was soll das heißen?« schrie Lucy und erbleichte.
»Sie sind das Kind«, klagte Herr Tumnus. »Ich hatte Befehl von der Hexe, sollte ich jemals eine Evastochter oder einen Adamssohn im Walde antreffen, dann hätte ich sie zu fangen und ihr auszuliefern. Und wie ich Ihnen begegnete – Sie waren die erste, die ich jemals sah –, tat ich, als sei ich Ihr Freund, bat Sie zum Tee und wartete die ganze Zeit nur darauf, daß Sie einschliefen. Dann wollte ich zu ihr gehn, es ihr erzählen
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