Lewis, Michael
relativ
eindeutig, dass Meredith Whitney am 31. Oktober einen Einbruch des Marktes für
Finanzwerte herbeigeführt hat. Bei Handelsschluss hatte eine Frau, von der
zuvor kaum jemand gehört hatte und die als Niemand abqualifiziert worden wäre,
die Citigroup-Aktie um ganze 8 Prozent und den Wert des US-Aktienmarktes um
390 Milliarden US-Dollar absacken lassen. Vier Tage später trat Citigroup-CEO
Chuck Prince zurück. Zwei Wochen später kürzte die Citigroup ihre Dividende.
Seither
wurde aus Meredith Whitney ein E. F. Hutton: Wenn sie sprach, hörten die
Menschen zu. Ihre Botschaft war unmissverständlich: Wer wissen wollte, was
solche Wall-Street-Firmen wirklich wert waren, musste einen kritischen Blick
auf die Schrottpapiere werfen, die sie mit geliehenem Geld erworben hatten,
und ausrechnen, was diese bei einem Notverkauf einbringen würden. Die Scharen
hoch bezahlter Mitarbeiter waren in ihren Augen gar nichts wert. Das ganze Jahr
2008 hindurch verfolgte sie die Beteuerungen der Banker und Broker, sie hätten
ihre Probleme nach dieser Abschreibung oder jener Kapitalerhöhung im Griff, und
hielt dagegen: Stimmt nicht. Ihr verweigert euch noch immer der Erkenntnis, wie
miserabel ihr eure Unternehmen geführt habt. Ihr weist noch immer nicht die
US-Dollar-Milliarden aus, die ihr mit minderwertigen Hypothekenpapieren
verloren habt. Der Wert eurer Wertpapiere ist ebenso illusorisch wie der Wert
eurer Mitarbeiter. Konkurrenten widersprachen, Whitney werde überschätzt.
Blogger warfen ihr vor, sie habe einfach Glück gehabt. Auf jeden Fall hatte sie
recht. Es stimmt allerdings, dass sie manches einfach geraten hatte. Was mit
den Wall-Street-Unternehmen passieren würde, hätte sie auf keinen Fall erahnen
können - und ebenso wenig das Ausmaß ihrer Verluste auf dem Markt für
Subprime-Hypotheken. Darüber waren sich nicht einmal die CEOs selbst im Klaren.
»Entweder das, oder sie lügen alle«, sagte sie. »Aber ich gehe davon aus, dass
sie wirklich keine Ahnung hatten.«
Meredith
Whitney hat offensichtlich nicht den Untergang der Wall Street ausgelöst. Sie
hatte lediglich klar und stimmgewaltig eine Ansicht geäußert, die sich als
weit aufwieglerischer für die gesellschaftliche Ordnung erweisen sollte als
beispielsweise viele Kampagnen verschiedener New Yorker Generalstaatsanwälte
gegen Korruption an der Wall Street. Hätte ein Skandal ausgereicht, um den
großen Investmentbanken der Wall Street den Garaus zu machen - sie wären
längst Geschichte. Diese Frau behauptete ja gar nicht, die Wall-Street-Banker
seien korrupt. Sie behauptete lediglich, dass sie dumm seien. Diese Leute,
deren Aufgabe es war, Kapital zu verwalten, hatten offenbar nicht einmal ihr
eigenes Kapital richtig im Griff.
Ich
gebe zu, dass ein Teil von mir dachte: Wenn ich nur dabeigeblieben wäre, hätte ich selbst
eine solche Katastrophe lostreten können. Die Akteure, die im
Mittelpunkt des Citigroup-Debakels standen, waren dieselben Leute, mit denen
ich bei Salomon Brothers zusammengearbeitet hatte. Ein paar hatten bei Salomon
Brothers sogar an den gleichen Schulungen teilgenommen wie ich. Irgendwann
konnte ich mich nicht länger zurückhalten: Ich rief Meredith Whitney an. Das
war im März 2008, kurz vor dem Zusammenbruch von Bear Stearns, als noch nicht
klar war, wie die Sache ausgehen würde. Ich dachte, wenn sie recht hat, dann
könnte das vielleicht der Moment sein, an dem die Finanzwelt wieder in die
Schranken gewiesen wird, denen sie sich Anfang der achtziger Jahre entzogen
hatte. Ich wollte wissen, ob sie stichhaltig argumentierte, aber auch, wo diese
junge Frau herkam, die mit einem Wort den Aktienmarkt erschüttern konnte.
Sie
war 1994 an der Wall Street gelandet, nachdem sie Anglistik an der Brown
University studiert hatte. »Ich kam nach New York und wusste gar nicht, was
Research war«, erzählte sie. Sie bekam eine Stelle bei Oppenheimer and Co. und
hatte dann unglaubliches Glück: Sie wurde von einem Mann ausgebildet, der ihr
nicht nur half, eine Karriere aufzubauen, sondern auch eine Weltsicht zu
entwickeln. Das sei ein gewisser Steve Eisman gewesen, berichtete sie. »Nach
meiner Prognose über die Citibank«, gestand sie, »war einer der schönsten
Momente für mich, als Steve anrief und mir sagte, wie stolz er auf mich sei.«
Da ich noch nie von Steve Eisman gehört hatte, dachte ich mir weiter nichts
dabei.
Doch
dann las ich die Meldung, dass ein eher unbekannter New Yorker
Hedgefondsmanager namens John Paulson für
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