Lewis, Michael
seine Investoren schlappe 20
Milliarden US-Dollar erwirtschaftet hatte - und knapp 4 Milliarden für sich
selbst. Nie zuvor hatte jemand an der Wall Street so schnell so viel Geld
verdient. Hinzu kam, dass ihm dieser Coup gelungen war, indem er gegen genau
die minderwertigen Hypothekenpapiere spekuliert hatte, die inzwischen die
Citigroup und jede andere große Investmentbank an der Wall Street in
Schwierigkeiten gebracht hatten. Investmentbanken an der Wall Street sind wie
Spielkasinos in Las Vegas: Sie legen die Gewinnquoten fest. Der Kunde, der gegen
sie Nullsummenspiele spielt, gewinnt vielleicht hin und wieder, doch nie
systematisch - und nie so spektakulär, dass er die Bank sprengt. Doch auch John
Paulson war Kunde der Wall Street gewesen. Er entsprach genau dem Bild von
Inkompetenz, das Meredith Whitney gezeichnet und womit sie sich ihren Namen
gemacht hatte. Das Kasino hatte seine Chancen in seinem eigenen Spiel krass
fehlbewertet, und zumindest ein Spieler hatte es bemerkt. Ich rief erneut
Whitney - und auch andere - an, um herauszufinden, ob sie jemanden kannten, der
die verheerenden Entwicklungen bei Subprime-Hypotheken vorhergesehen und sich
im Vorfeld so aufgestellt hatte, dass er daran ein Vermögen verdiente. Wem war
sonst noch aufgefallen, dass das Rouletterad vorhersehbar geworden war, bevor
es das Kasino merkte? Wer sonst in der Black Box der modernen Finanzwelt hatte
die Schwachpunkte in der Maschinerie erkannt?
Das
war Ende 2008. Damals beanspruchte eine große und ständig wachsende Reihe von
Experten für sich, die Katastrophe vorhergesagt zu haben. Die Liste der Leute,
auf die das tatsächlich zutraf, war deutlich kürzer. Und noch weniger hatten
sich getraut, ihr Geld auf ihre Überzeugung zu setzen. Wenn man nicht gerade
verrückt ist, ist es nicht so einfach, sich der Massenhysterie zu entziehen und
zu glauben, dass die meisten Finanzmeldungen falsch sind und dass die
wichtigsten Finanzexperten lügen oder getäuscht werden. Whitney gab mir eine
Aufstellung, die ein halbes Dutzend Namen enthielt - meist Investoren, die sie
persönlich beraten hatte. In der Mitte stand John Paulson. Ganz oben Steve
Eisman.
Kapitel 1
Die Geschichte des geheimen Ursprungs
Eisman
betrat die Finanzbühne etwa um die Zeit, als ich sie verließ. Er war in New
York aufgewachsen, hatte Yeshiva-Schulen besucht, sein Studium an der
University of Pennsylvania magna cum laude abgeschlossen und sein Jurastudium
in Harvard mit Auszeichnung. 1991 arbeitete der 31-Jährige als Anwalt für
Unternehmensrecht und fragte sich, was ihn an diesem Beruf jemals gereizt
hatte. »Ich hasste ihn«, erzählte er. »Ich wollte kein Anwalt sein. Meine
Eltern arbeiteten als Makler beim Wertpapierspezialisten Oppenheimer. Sie
schanzten mir einen Job zu. Nichts, worauf ich besonders stolz bin, aber so war
es.«
Oppenheimer
gehörte zu den letzten altmodischen Personengesellschaften der Wall Street und
lebte von dem, was Goldman Sachs und Morgan Stanley übrig ließen. Die Atmosphäre
dort erinnerte an einen Familienbetrieb. Lillian und Elliot Eisman berieten
schon seit Anfang der sechziger Jahre Einzelanleger in Finanzangelegenheiten.
(Lillian hatte innerhalb von Oppenheimer ein Maklergeschäft aufgezogen, und
Elliot, der ursprünglich Strafverteidiger gewesen war, war eingestiegen,
nachdem er einmal zu oft Drohungen von Mandanten aus dem Mittelbau der Mafia
erhalten hatte.) Von Kollegen und Kunden gleichermaßen geschätzt und
respektiert, konnten sie einstellen, wen sie wollten. Bevor sie ihren Sohn vor
einer Karriere als Jurist bewahrten, hatten sie bereits dessen ehemaliges
Kindermädchen in der Handelsabteilung von Oppenheimer untergebracht. Auf dem
Weg zu seinen Eltern begegnete Eisman der Dame, die ihm schon die Windeln
gewechselt hatte. Bei Oppenheimer gab es jedoch eine Regel gegen
Vetternwirtschaft. Wenn Lillian und Elliot ihren Sohn einstellen wollten,
mussten sie sein Gehalt im ersten Jahr aus eigener Tasche zahlen. Während
dieser Zeit würden andere entscheiden, ob er sein Geld wert war.
Eismans
Eltern waren im Herzen konservative, wertorientierte Investoren und hatten ihm
stets erzählt, dass man als Aktienanalyst am meisten über die Wall Street
lernen könne. Also stieg er in die Aktienanalyse ein und arbeitete für die Menschen,
die die öffentliche Meinung über öffentlich gehandelte Unternehmen prägten.
Oppenheimer beschäftigte etwa 25 Analysten, deren Analysen von der übrigen Wall
Street weitgehend
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