Lewis, Michael
Sie Schiffe versenken. Lippmann warf einem immer wieder
Koordinaten hin, bis man gar nicht umhin konnte, das Schiff zu orten - und
damit genau das zu tun, was jedem anderen an der Wall Street überhaupt nicht
recht gewesen wäre.
Doch
Lippmann verstieß noch gegen andere Konventionen. So beeilte er sich, seinen
Gesprächspartnern mitzuteilen, dass jede von seinem Arbeitgeber möglicherweise
gezahlte Summe in keinster Weise seinem eigentlichen Wert entsprach. »Es ist
die Aufgabe der Geschäftsleitung, ihre Mitarbeiter zu entlohnen«, pflegte er
zu sagen. »Und wenn sie 100 Mitarbeitern jeweils 100 Riesen weniger zahlen,
bleiben 10 Millionen mehr für sie. Es gibt da vier Kategorien: glücklich,
zufrieden, unzufrieden, gefrustet. Zahlen sie so viel, dass der Empfänger
glücklich ist, haben sie's vergeigt: Sie wollen keinen glücklich machen.
Andererseits sollen die Mitarbeiter aber auch nicht so frustriert sein, dass
sie kündigen. Die effektive Zone liegt irgendwo zwischen Unzufriedenheit und
Frust.« Zwischen 1986 und 2006 kursierte an der Wall Street ein Memo, das
besagte: Wer weiterhin reich werden wollte, indem er ohne erkennbaren gesellschaftlichen
Nutzen Papiere hin- und herschob, sollte seine wahre Natur besser verschleiern.
Greg Lippmann konnte weder sich selbst verstellen noch seine Motive tarnen.
»Ich fühle mich der Deutschen Bank nicht besonders verbunden«, sagte er. »Ich
arbeite lediglich dort.« Das war keine unübliche Einstellung. Ungewöhnlich war
nur, dass Lippmann es offen zugab.
Das
Unkontroverseste, was man über Lippmann sagen konnte, war, dass er kontrovers
war. Er war nicht nur ein guter Rentenhändler, sondern ein hervorragender. Er
war kein schlechter Mensch. Er war noch nicht einmal unhöflich - jedenfalls
nicht bewusst. Er löste einfach extreme Gefühle bei seinen Mitmenschen aus.
Ein Trader, der jahrelang in seiner Nähe gearbeitet hatte, sprach nur vom
»Arschloch namens Greg Lippmann«. Wurde er nach dem Grund dafür gefragt, sagte
er: »Er ist einfach immer zu weit gegangen.«
»Ich
mag Greg«, meinte dagegen einer seiner Vorgesetzten bei der Deutschen Bank.
»Ich kann nichts Schlechtes über ihn sagen - höchstens, dass er total
unberechenbar ist.« Ging man den unterschiedlichen Ansichten über Lippmanns
Persönlichkeit auf den Grund, wurzelten sie in zwei einfachen Vorwürfen. Der
erste war, dass er ganz offen eigene Interessen verfolgte und Eigenwerbung
betrieb. Der zweite war, dass er sehr schnell merkte, wenn andere eigene
Interessen verfolgten und Eigenwerbung betrieben. Er hatte eine beinahe übernatürliche
Fähigkeit, fragwürdige Motive zu entlarven. Wenn jemand gerade 20 Millionen
US-Dollar an seine Alma Mater gespendet hatte und sich im Glanz des selbstlosen
Engagements für eine gute Sache sonnte, wäre Lippmann der Erste, der fragen
würde: »Sie haben also 20 Millionen gespendet, weil das der Mindestbetrag dafür
ist, dass ein Gebäude nach Ihnen benannt wird, ja?«
Dieser
Typ tauchte nun aus heiterem Himmel bei Steve Eisman auf, um ihm eine Idee zur
Spekulation gegen den Markt für zweitklassige Hypothekenanleihen anzutragen,
die er als seinen eigenen brillanten Einfall verkaufte. Seine Argumente
untermauerte er mit einer langen, gründlichen 42-seitigen Präsentation: In den
zurückliegenden drei Jahren seien die Häuserpreise deutlich schneller gestiegen
als in den vorausgehenden 30. Sie seien zwar noch nicht gefallen, zögen aber
nicht mehr weiter an. Dennoch würden die damit besicherten Darlehen im ersten
Jahr in erstaunlichem Tempo platzen - statt mit 1 bereits mit 4 Prozent. Wer
lieh sich Geld, um ein Haus zu kaufen, und konnte bereits binnen zwölf Monaten
keine Raten mehr zahlen? In diesem Tenor ging es weiter. Dann zeigte er Eisman
die kleine Grafik, die er erstellt hatte und die angeblich sein Interesse an
diesem Geschäft geweckt hatte. Sie veranschaulichte einen erstaunlichen
Umstand: Seit 2000 war die Wahrscheinlichkeit, dass Menschen, deren Eigenheime
1 bis 5 Prozent an Wert zugelegt hatten, ihre Hypotheken nicht mehr bedienen
konnten, fast viermal so hoch wie bei Menschen, deren Häuser über 10 Prozent im
Wert gestiegen waren. Millionen von Amerikanern konnten ihre Hypotheken also
nur zurückzahlen, wenn der Wert ihrer Wohnimmobilien drastisch zunahm, sodass
sie sie höher beleihen konnten.
Das
war der Kern seiner Verkaufsargumentation: Die Häuserpreise mussten gar nicht
fallen. Es reichte schon, wenn sie einfach nicht mehr in dem
Weitere Kostenlose Bücher