Lexikon der Oeko-Irrtuemer
Müllaufkommen in manchen Städten Afrikas liegt auf der Straße herum. Die Entsorgung obliegt Ziegen, Hühnern und Ratten - der Rest wird häufig auf offener Straße angezündet.
Bliebe ein letztes Argument gegen Wachstum und Wohlstand: Die Industrieländer verbrauchen viel mehr Ressourcen als die Entwicklungsländer. Dies ist ebenfalls richtig. Doch die viel beschworene Rohstoffknappheit ist in Wirklichkeit weitaus weniger dramatisch als sie häufig dargestellt wird. Der Club of Rome hatte sich gründlich verrechnet, als er in den siebziger Jahren vor einem baldigen Ende der Bodenschätze warnte. Die Vorräte an Erdöl, Erdgas, Kupfer, Aluminium und anderen Rohstoffen sind heute größer als damals! Der Grund: Neue Funde und eine effizientere Technik, die weniger Material und Energie verbraucht. 5
Was sind überhaupt Ressourcen? Ein einfaches Hochrechnen des momentanen Verbrauchs an Erdöl oder Kupfer auf die Zukunft führt in die Irre. Die Bedeutung von Rohstoffen hat sich im Laufe der Geschichte immer wieder stark gewandelt. In früheren Jahrhunderten war Holz der wichtigste Energieträger in Europa. Kohle dagegen war als Ressource unbedeutend, weil es technisch nicht möglich war, sie aus der Tiefe zu fördern. Der Brennstoff Holz hat in den reichen Ländern bis auf weiteres ausgedient. Bis zur Entdeckung des Erdöls waren Tran und Tieröl die Schmierstoffe der industriellen Revolution. Heute sind Wale und Robben größtenteils geschützt, dennoch muß keine Maschine deshalb stillstehen. Das Fett der Meeressäuger wird kaum mehr benötigt. Durch die Erfindung von Funktelefonen und Glasfaserkabeln verliert das gestern noch höchst begehrte Kupfer an Bedeutung. Die Menschheit fand stets neue - und bessere - Rohstoffe. Trat Knappheit ein, beschleunigte dies den technischen Fortschritt. In einer Welt, in der tagtäglich Kinder durch Mangelernährung, dreckige Luft und verseuchtes Wasser sterben, ist die Schonung der Bodenschätze nicht das dringendste Umweltproblem.
Obendrein zwingt Konkurrenz die Unternehmen dazu, Rohstoffe zu sparen und Energie wirkungsvoller einzusetzen. Seit den sechziger Jahren sank in Deutschland der relative Ressourcenverbrauch der Wirtschaft. Für jede Mark Bruttoinlandsprodukt wurden Ende der neunziger Jahre nur noch die halbe Menge Material und Energieträger benötigt wie damals. Wachstum und Ressourcenverbrauch sind also bereits entkoppelt. Wir erleben eine Effizienzrevolution, die in aller Stille stattfindet. 6
Es ist überaus wahrscheinlich, daß dieser Prozeß früher oder später auch in den Ländern beginnen wird, die sich heute rasant zu Industriestaaten entwickeln. Wenn die reichen Länder möglichst viel für die Umwelt bewirken wollen, sollten sie den aufstrebenden Entwicklungsländern ihre besten und saubersten Technologien zugänglich machen: Katalysatoren und Filter, Wasserkraftwerke und Solarenergie, moderne Kläranlagen und nachhaltige Forstwirtschaft. All das hilft, die Phase der extremsten Umweltbelastung zu verkürzen oder sogar in Teilbereichen zu überspringen.
Armut - und nicht Wohlstand - ist die größte Gefahr für Umwelt und Natur. Warum legen arme Siedler in Brasilien Feuer im Regenwald? Weil sie woanders kein Stückchen Land erwerben können. Warum sind indische Flüsse mit Fäkalien und Industrieabwässern verseucht? Weil Kläranlagen teuer sind. Warum brechen Wilderer in Afrika die Gesetze, um das Horn von Nashörnern zu erbeuten? Weil sie arm sind.
Eines ist richtig: Wir Menschen in den reichen Industrieländern sollten unseren Ressourcenverbrauch senken, Energie sparen und Müll reduzieren. Das ist gut für die Natur, ökonomisch vernünftig und führt zu einer immer wirkungsvolleren Technik. Doch westliche Öko-Theoretiker irren, wenn sie den wachsenden Wohlstand der Entwicklungsländer als die große Bedrohung der Erde darstellen. Ein höherer Lebensstandard ist gut für die Menschen und die Umwelt.
1 BUND und Misereor, Zukunftsfähiges Deutschland, 1996. 2 G. Easterbrook, A Moment on Earth, 1995. 3 R. Bailey (Hrsg.), The True State of the Planet, 1995. 4 ebd. 5 W. Beckermann, Smallis Stupid, 1995. 6 Magazin der DSD AG (Duales System Deutschland), Standpunkte, 1997.
Perspektiven
Ausgemergelte Gesichter, abgemagerte Körper in Lumpen gekleidet, Kinder mit Hungerbäuchen, erbärmliche Bretterhütten, Menschen, die sich von außen an Eisenbahnwaggons und Busse klammern: Solche Bilder zeigen Zeitschriften und Fernsehsender, wenn sie über
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