Lexikon der Oeko-Irrtuemer
und verschmutzte Atemluft sind die größten gesundheitlichen Umweltprobleme der Welt. Ihre Ursache heißt Armut. Armut führt auch dazu, daß viele Menschen auf der Suche nach Nahrung oder Brennholz die Natur plündern müssen.
»In den letzten zehn Jahren sind an verschiedenen Fronten bedeutende Fortschritte gemacht worden. Trotzdem hat sich der Zustand der Umwelt aus globaler Sicht weiter verschlechtert«, heißt es in einer Bilanz der UNEP (Umweltprogramm der Vereinten Nationen). 5 Wird also alles immer schlimmer? Gibt es keinen Ausweg? Vermutlich gibt es viele kleine Auswege, die (so bleibt zu hoffen) mit der Zeit in den armen Ländern zu einer Trendwende führen werden, wie sie im wohlhabenden Teil der Welt schon längst stattgefunden hat. Die Situation in vielen Entwicklungsländern erinnert an die Zeit des Frühkapitalismus in Europa, als London im Smog erstickte und der Regen im Ruhrgebiet schwarz war. Auch in Europa nahmen die Menschen damals schlimmste Umweltverschmutzungen in Kauf. Ihre Toleranz gegenüber verseuchter Luft, schmutzigem Wasser und zerstörten Landschaften begann erst zu sinken, als ein gewisser Wohlstand erreicht war.
Die Entwicklungsländer w r erden zwar viele, aber wohl nicht alle Fehler wiederholen, die die Industrienationen in der Vergangenheit gemacht haben. Ökologische Basisinitiativen und sogar manche Regierungen setzen sich für eine bessere Umwelt ein. In Malaysia protestieren nationale Naturschutzverbände gegen den Raubbau am Regenwald. Brasiliens Präsident Cardoso verkündete 1997, er werde zehn Prozent der Waldfläche seines Landes unter Naturschutz stellen. 6 In Bombay rücken private Stadtteilinitiativen am Wochenende zum Müllsammeln aus. Und auch die Stadtverwaltung von Neu-Delhi wurde durch Berichte über die Opfer der Luftverschmutzung aufgeschreckt: Seit 1997 müssen sich Motorfahrzeuge einer Abgaskontrolle unterziehen. 7 Zwei andere Smog-Metropolen, Mexiko-City und Santiago de Chile, starteten Mitte der neunziger Jahre erste Luftverbesserungsprogramme. 8 In der brasilianischen Millionenstadt Curitiba hatten die Behörden bereits in den sechziger Jahren erkannt, daß die Zunahme der Autos zu Smog und Verkehrschaos führen würde. Sie planten und bauten ein leistungsfähiges Bussystem, das zum Teil auf eigenen Fahrspuren fährt. Heute wird das Nahverkehrskonzept Curitibas weltweit bewundert. 9 Ein Netz der Hoffnung spannt sich um den Planeten. Überall gibt es beispielhafte und zukunftsweisende Umweltprojekte. Sogar in bitterarmen afrikanischen Ländern entstanden Basisbewegungen, die Bäume pflanzen.
Früher hielten viele Politiker und Intellektuelle aus der Dritten Welt Umweltschutz für eine schrullige Mode der Europäer. Diese Zeiten sind gottlob vorbei. Bei einer Umfrage, die 1997 in 24 Staaten der Erde durchgeführt wurde, stellte sich heraus, daß Umwelt und Natur auch für Menschen in Entwicklungsländern viel bedeuten. So erklärten die Hälfte der befragten Inder und 53 Prozent der Chilenen, daß Umweltschutz wichtiger sei als wirtschaftliches Wachstum (!). In dem jungen Industrieland Südkorea teilten sogar 63 Prozent diese Meinung. 10
Doch trotz des weltweiten Bewußtseinswandels ist die globale Trendwende noch nicht eingetreten. In China und anderen ökonomisch aufstrebenden Nationen rauchen die Schlote mehr denn je, sind Kläranlagen eine seltene Ausnahme. Es gibt jedoch kein Naturgesetz, daß dies auf ewig so bleiben wird.
Die Empörung über Umweltverschmutzung in den Entwicklungsländern, besonders in den aufstrebenden asiatischen Staaten, war im Deutschland der neunziger Jahre oft von einem unterschwellig rassistischen Tonfall geprägt. So zeigte der »Stern« auf dem Titelblatt einen Chinesen, der den Globus mit Stäbchen verspeist. Die schlimmen Umweltfrevel in Asien geben jedoch keinen Anlaß, sich als Europäer besser vorzukommen. Auch unser Wohlstand wurde einst durch rauchende Schlote, stinkende Flüsse und gerodete Wälder erkauft. Das haben manche nur vergessen. Es gibt keinen Anlaß anzunehmen, die Menschen in Asien würden es auf Dauer tolerieren, daß ihre Kinder infolge der Luftverschmutzung erkranken und ihre Städte im Müll versinken.
Ein Blick auf alte Tuschezeichnungen genügt: Asiatische Künstler verehrten Tierwelt und Natur bereits, als ihre europäischen Kollegen nichts als fromme Bibelmotive darstellten.
1 Frankfurter Allgemeine Zeitung vom 4. 6. 1996. 2 Die Welt vom 15. 5. 1997. 3 Frankfurter Allgemeine Zeitung vom
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