Liaden 3: Gestrandet auf Vandar
selbst er würde die Dinge nicht so überstürzen. Aber stell dir vor, Edger kreuzt wirklich hier auf. Ich höre schon, wie Zhena Brigsbee Zhena Trelu schadenfroh zuzischelt: ›Hab ich dir nicht von Anfang an gesagt, dass mit den beiden etwas nicht stimmt …‹«
Miri schwitzte stark, aber Val Con und Hakan ging es auch nicht besser. Die beiden ersten Songs gingen glatt über die Bühne, und ein Problem hatten sie mit Bravour gemeistert – das Stück, mit dem sie ihren Auftritt beginnen wollten, war ausgerechnet das Schlusslied der vorherigen Gruppe gewesen.
Bis jetzt waren sie Miris Anweisungen gefolgt und hatten in erster Linie ihren eigenen Stil durchgesetzt, anstatt sich dem eher konventionellen Geschmack des Publikums anzupassen. Val Cons Klaviersolo in der ersten Nummer hatte ihnen eindeutig Pluspunkte eingebracht, und im zweiten Stück vertauschten Miri und Hakan die Rollen – er sang den weiblichen Part und sie den männlichen, was ebenfalls Aufsehen erregte. Doch ob ihre Art der Interpretation positiv oder negativ beurteilt wurde, musste sich erst noch herausstellen. Aber das Wichtigste war immer noch ausgeblieben – bei keinem ihrer Lieder ging das grüne Licht an.
Begleitet von Applaus ging Hakan ans Mikrofon; er grinste von einem Ohr zum anderen.
»Und jetzt«, begann er, um sich gleich darauf zu unterbrechen, weil er Atem holen musste. »Und jetzt«, setzte er von Neuem an, »freut sich das Schneewind Trio darauf, Ihnen einen Song zu präsentieren, der ein wenig aus dem Rahmen fällt. Wir singen ein Lied, das Sie alle gut kennen – zuerst so, wie Zhena Robersun es lernte, als sie noch ein junges Mädchen war, danach wie Zamir Robersun es hörte, als er auf dem Schiff seines Bruders mitfuhr, und zum Schluss in der Fassung, die ich als Kind hier in Gylles lernte. Nun, bitte sehr: ›Der Tanz der Blätter‹.«
Das Publikum war mucksmäuschenstill geworden. Plötzlich flammte das grüne Licht auf, und Miri schluckte krampfhaft vor Aufregung. Val Con spielte die Einleitung auf dem Klavier, sie schloss die Augen und konzentrierte sich auf die Worte, die sie zu der Benish-Musik singen wollte. Das Lied war ein unkompliziertes, heiteres Stück, eine Hymne an den Herbst, der die Blätter der Bäume zum Tanzen bringt, ideal geeignet zum Mitsingen. Aus Loyalität Hakan gegenüber, der völlig ahnungslos dazu beitrug, ein galaktisches Gesetz zu brechen, hatte sich Miri bei ihrer Interpretation so eng wie möglich an das Original gehalten.
Es kam ihr vor, als habe ihr Vortrag nur wenige Sekunden gedauert; dann war Val Con an der Reihe, und die weichen Laute der Liadensprache verwandelten die niedliche kleine Melodie in ein exotisches, nahezu sinnliches Musikstück. Miri schob ihre Hand in die Rocktasche, legte die Finger um die absolut unzulässige Mundharmonika, die sie darin verwahrte, und führte sie mit einer flinken Bewegung an ihre Lippen.
Hakan war schon geneigt, an Magie zu glauben; Miris vor den Mund gehaltene Hände produzierten ungewohnte, beinahe unheimliche Töne, die Corys Klavierspiel auf eine unter die Haut gehende Art und Weise begleiteten.
Danach trat er näher ans Mikrofon heran und stellte den Zuhörern das Lied so vor, wie sie es ihr Leben lang gekannt hatten, während das leise Brummen der Mundharmonika die vertrauten Worte untermalte.
Seine Stimme verklang; er sah, wie Cory ihm ein Zeichen gab, und spielte weiter auf der Gitarre; Miri improvisierte auf der Mundharmonika eine Weise, die das Publikum daran erinnern sollte, dass die Blätter, die im Herbstwind tanzen, zum Sterben verurteilt sind. Dieses Bild nahm sie völlig gefangen, sie dachte an Freunde, die auch getanzt hatten und nun tot waren. Es hatte Zeiten gegeben, als ihre Mundharmonika die Geräusche erzeugte, die die Mitglieder ihrer Söldnereinheit nicht zu äußern wagten – Lachen, Fluchen, Schluchzen.
Als sie wieder in die Gegenwart zurückkehrte, ließ sie die Melodie langsam ausklingen. Danach perlten die Schlussakkorde von Hakans Gitarre, und zuletzt verstummte das Klavier. Nach einem furiosen Finale auf der Mundharmonika nahm Miri das Instrument von den Lippen und verbeugte sich.
Während ihrer Verbeugung herrschte im Saal eine solche Stille, dass man das Flattern der Türvorhänge im Wind hören konnte. Immer noch schweigend, fingen die Leute an, sich von ihren Plätzen zu erheben, und einen Herzschlag lang befürchtete Miri, sie könnten die Bühne stürmen. Da sie nicht wusste, was sie sonst tun sollte,
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