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Licht

Titel: Licht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: M. John Harrison
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Geschäftsräumen, das Leben folgte gewissen Ritualen. Seine Frau trug leuchtend rote Flamencokostüme. Seine Kinder waren lauter Mädchen.
    Als Seria Maú mitten im Salon erschien, spielte Onkel Sip gerade den Alleinunterhalter.
    »Das sind nur ein paar Freunde«, sagte er. »Du kannst bleiben und ein bisschen dazulernen. Oder du schaust später noch einmal vorbei.«
    Er spielte Akkordeon. Er hatte sich herausgeputzt: weißes Anzughemd und schwarze Hosen, deren Bund ihm bis unter die Achseln reichte. Der runde rosige Rougefleck auf jeder kreideweißen Wange ließ ihn wie eine riesige schweißglasierte Porzellanpuppe aussehen. Sein Instrument, eine kunstvoll gearbeitete Antiquität mit elfenbeinfarbenen Tasten und glitzernden Chromknöpfen, blitzte und flirrte im Neonlicht von Carmody. Beim Spielen stampfte er von einem Fuß auf den anderen, um den Rhythmus nicht zu verlieren. Er sang in einem reinen und explosiven Contratenor. Hätte man ihn nicht gesehen, hätte man sich gefragt, ob da eine Frau oder ein kleiner Junge sang. Später erst hätte einen die kaum gebändigte Aggressivität der Stimme davon überzeugt, dass sie einem männlichen Menschen gehörte. Sein Publikum, drei oder vier dünne, dunkelhäutige Männer in engen Hosen, Lurexhemden und pechschwarzen Pompadourfrisuren tranken und redeten als schenkten sie ihm nicht viel Aufmerksamkeit, wiewohl sie ihm jedes Mal ein dünnes beifälliges Lächeln schenkten, wenn er sein hohes, zorniges Vibrato schmetterte. Gelegentlich kamen zwei oder drei Kinder an die offene Salontür und stachelten ihn an, klatschten und riefen ihn Papa. Onkel Sip stampfte und spielte und schüttelte sich den Schweiß von der Porzellanstirn.
    Als er es für richtig hielt, entließ er sein Publikum. Als sei man nie dagewesen, verschwanden sie mit der höflich schlauen Anmut cooler Typen in der Nacht von Moneytown. Er setzte sich schwer atmend auf einen Schemel. Dann wedelte er mit einem dicken Finger zu Seria Maú Genlicher hinüber.
    »He«, sagte er. »Du kommst als Hologramm?.«
    »Verschone mich«, sagte Seria Maú. »Das ist zu Hause schon Dauerthema.«
    Das Hologramm sah aus wie eine Katze. Es war eines von den billigeren Modellen, deren Farbe man je nach Gemütszustand wechseln konnte. Ansonsten ähnelte es einer altirdischen Hauskatze – klein, nervös, spitzes Gesicht und mit der Neigung, den Kopf an allerhand Dingen zu reiben.
    »Das ist ein Affront für den Zuschneider: ein Hologramm. Komm leibhaftig zu Onkel Sip oder bleib weg.« Er betupfte sich die Stirn mit einem riesigen weißen Taschentuch, lachte sein hohes, vergnügtes Lachen. »Du willst also eine Katze sein«, avisierte er ihr. »Ich mache dich dazu, kein Problem.« Er beugte sich vor und fuhr mit der Hand mehrmals durch das Hologramm. »Was ist das? Ein Gespenst, junge Frau. Ohne Körper bist du ein Photino, du bist ein armseliges Reagenz für diese Welt. Ich kann dir nicht mal einen Drink anbieten.«
    »Ich habe schon einen Körper, Onkel«, rief ihm Seria Maú leise in Erinnerung.
    »Warum bist du also zurückgekommen?«
    »Die Einheit funktioniert nicht. Sie will nicht mit mir reden. Sie will nicht mal herausrücken, wozu sie da ist.«
    »Ich habe dir erklärt, wie komplex so was ist. Ich habe dir gesagt, dass es Probleme geben kann.«
    »Dass die Einheit nicht von dir ist, hast du nicht gesagt.«
    Auf Onkel Sips weißer Stirn begann sich ein Anflug von Unmut abzuzeichnen.
    »Ich habe gesagt, dass sie von mir ist«, räumte er ein. »Aber nicht, dass ich sie auch gemacht habe. Tatsächlich habe ich sie von Billy Anker bekommen. Der Bursche hielt sie wohl für modern. Er hielt sie für K-Tech. Für ein militärisches Produkt.« Er zuckte die Achseln. »Solche Leute legen ihr Wort nicht auf die Goldwaage.« Er schüttelte den Kopf und spitzte abwägend die Lippen. »Obschon dieser Bursche Billy für gewöhnlich sehr helle und sehr verlässlich ist.« Der Gedanke half ihm nicht weiter, er zuckte die Achseln. »Er hat das Ding aus der Radio Bay, kam aber nicht dahinter, wozu es gut ist.«
    »Bist du dahintergekommen?«
    »Die Handschrift des Zuschneiders war nicht auszumachen.« Onkel Sip besah sich seine gespreizten Hände, musterte sie eingehend. »Aber ich habe das Schnittmuster in einem Tag durchschaut.« Er war stolz auf seine plumpen Finger und die sauberen spateiförmigen Nägel, so stolz auf ihren Tastsinn als schneide er die Gene direkt zu, wie ein Schuster das Leder. »Völlig durchschaut, von einem Ende

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