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Licht

Titel: Licht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: M. John Harrison
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bis zum anderen. Es ist genau das, was du brauchst: keine Sorge.«
    »Aber warum funktioniert es dann nicht?«
    »Du solltest es herbringen. Vielleicht schau ich es mir noch mal an.«
    »Es fragt mich dauernd nach einem Dr. Haends.«

 
6
     
Im Traum
     
    Auf den ersten Blick hätte man meinen können, die Cray-Schwestern bedienten sich eines Einwegcultivars. Doch dafür gaben sie viel zu sehr auf sich Acht. Nichtsdestoweniger waren sie schwer und legten diesen sinnlichen, Ich-bin-lebendiger-als-lebendig-Blick eines Cultivars an den Tag, dessen Benutzer sich den Teufel schert. Sie hatten große, mächtige Hinterteile, die sie mit kurzen schwarzen Nylonröcken bedeckten. Sie hatten dicke, kurze Beine mit ausgeprägten Waden, an denen Vier-Zoll-Absätze ein Leben lang gemeißelt hatten. Die breiten Schultern der kurzärmligen weißen Sekretärinnenblusen waren gepolstert und mit Volants besetzt. Rings um die fleischigen Oberarme ringelten und räkelten sich Schlangentattoos.
    Eines Tages kamen sie in den Laden und Evie fragte Tig Vesicle, ob er in einem der Tanks einen Twink namens Ed Chianese habe. Der Twink sei ungefähr so groß (ihre Hand schwebte zwei Zoll über ihrem Kopf), mit einem teils gewachsenen wasserstoffblonden Mohikaner (* Glatt rasierter Schädel mit zentralem, von vorne nach hinten verlaufendem Haarstreifen.) und ein paar billigen Tattoos. Er sei ziemlich muskulös, meinte sie. Gewesen zumindest, bevor ihn das Tankleben übermannt habe.
    »So einer ist mir noch nie begegnet«, log Vesicle.
    Der Schreck war ihm in die Glieder gefahren. Wenn es sich vermeiden ließ, log man die Cray-Schwestern nicht an. Jeden Morgen benutzten sie weißes Make-up und zogen ihre breiten roten Lippen nach, was sinnlich, böse und komisch zugleich wirkte. Mit diesen Mündern erpressten sie die gesamte Pierpoint Street. Sie verfügten über unzählige Söldner, Schattenboys in Cultivaren, schäbige Teen-Punks mit Kanonen. In der antiken Aktentasche oder der großen weichledernen Handtasche führte jede der Schwestern eine Chambers-Raketenpistole spazieren. Zunächst wirkten sie wie ein ganzes Paket von Widersprüchen, aber schon bald begriff man, dass dem nicht so war.
    In Wahrheit war dieser Chianese-Twink Tig Vesicles einziger Stammgast. Wer suchte schon eine Tankfarm in den hohen Siebenhundertern der Pierpoint auf? Niemand. Das Geschäft lief ganz unten am anderen Ende, wo es jede Menge Investmentbanker gab, auch Frauen, deren Lieblingshund vor zehn Jahren gestorben war, worüber sie niemals hinwegkamen. Das Mittagsgeschäft lief ganz unten in den mittleren und niedrigen Nummern. Ohne Chianese, der, sofern er sich’s leisten konnte, drei Wochen am Stück twinkte (* To twink = die Persönlichkeit eines anderen simulieren, bis (weshalb auch immer) die Simulation von einem Besitz ergreift (Begriff von Rudi Rucker).), wäre Vesicle aufgeschmissen gewesen. Er hätte sich den ganzen Tag auf der Straße herumtreiben und versuchen müssen, ABH (* ABH = Acute Bodily Harm /ABH = 2(S)-AMINO-6-BORONO-HEXANOICACID.) und Terra-Speed unter die Kids zu bringen, die nur an Do-it-yourself-Genpflaster interessiert waren, die sie von einem Burschen hinter dem Halo bekamen, einem gewissen Onkel Sip.
    Die Schwestern bedachten Tig Vesicle mit einem Blick, der sagte: Diesmal lügst du, dein Mangel an Proteinen wird dir noch das Genick brechen.
    »Ehrlich«, sagte er.
    Schließlich zuckte Evie Cray die Achseln.
    »Läuft dir so ein Bursche über den Weg, wir sind die Ersten, die es erfahren«, sagte sie. »Die Ersten.«
    Sie besah sich die Tankfarm, den nackten grauen Boden und die Ballerposter, die sich von den Wänden lösten, und bedachte Vesicle mit einem mitleidigen Blick. »Jesus, Tig«, sagte sie. »Könntest du diesen Ort nicht ein klein wenig unfreundlicher gestalten? Was meinst du?«
    Bella Cray lachte.
    »Würdest du ihr diesen Gefallen tun?«, sagte sie.
    Als sie fort waren, setzte Vesicle sich auf seinen Stuhl: »Würdest du ihr diesen Gefallen tun?« und »Läuft dir so ein Bursche über den Weg, wir sind die Ersten, die es erfahren.« Er wiederholte die Sätze so lange, bis er mit Tonfall und Satzmelodie zufrieden war. Dann ging er zu den Tanks hinüber, nahm einen Lappen aus dem Schrank und begann Staub zu wischen. Er staubte gerade den Tank von Chianese ab, als ihm bewusst wurde, dass es der warme war. »Wer ist der Bursche?«, fragte er sich. »Auf einmal sind die Cray-Schwestern wild auf ihn. Bis jetzt hat niemand nach ihm

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