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Licht

Titel: Licht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: M. John Harrison
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verdrießlich professionellen Pingeligkeit im hieruntergeklappten Kosmetikspiegel prüfte; die Frau schien ihre Frage vergessen zu haben. »Oh, hi, Schätzchen«, sagte sie. »Sie machen sich gerade frisch?« Alle hatten sie den Motor abgestellt. Straßauf, straßab vertraten sich die Leute die Beine. Ein Hotdog-Verkäufer klapperte die Schlange Richtung Westen ab, bewegte sich in Etappen von zehn oder zwölf Fahrzeugen voran. »Ich hätte nicht gedacht, dass es so schlimm ist«, sagte die Frau aus dem Mustang. Sie lachte, pflückte sich einen Tabakkrümel von der Unterlippe, und musterte ihn eingehend. »Vielleicht sind ja die Russen gelandet.«
    »Da könnten Sie Recht haben«, sagte Ed. Sie lächelte ihn an, trat ihre Zigarettenkippe aus und kehrte zu ihrem Wagen zurück. Ed schaltete das Radio ein. Die Russen waren nicht gelandet. Die Marsmenschen auch nicht. Es gab absolut nichts Neues.
    »Also. Diese Brady-Sache«, sagte er zu Rita. »Was erzählt man sich im Büro des Staatsanwalts?«
    »He, Eddie«, sagte Rita. Sie sah ihn ein oder zwei Atemlängen an, dann schüttelte sie den Kopf und wandte sich wieder dem Spiegel zu. Sie hatte eben den Lippenstift gezückt. »Dachte schon, du würdest nie mehr fragen«, sagte sie in nüchternem Tonfall. Der Lippenstift schien die falsche Farbe zu haben, denn sie steckte ihn mit einer gereizten Geste weg und blickte aus dem Fenster auf den Fluss hinaus.
    »Ich dachte, du würdest nie mehr fragen«, wiederholte sie bitterlich.
    Genau in dem Augenblick begann die große gelbe Ente ihren Kopf durch Eddies offenes Seitenfenster in den Wagen zu zwängen. Diesmal schien Rita keine Notiz zu nehmen, obwohl die Ente redete.
    »Hör mal, Nummer Sieben«, sagte die Ente. »Deine Zeit ist um.«
    Ed langte in seine Baseballjacke, auf der hinten Lungers 8-ball Superstox stand, und nahm einen der beiden Colts heraus.
    »He«, sagte die Ente. »Ich mache Spaß. Nur eine Mahnung. Du hast noch für elf Minuten Geld auf dem Konto, dann wird der Tank runtergefahren. Ed, als guter Kunde unserer Organisation darfst du Geld nachlegen oder du machst aus dem Rest das Beste.«
    Die Ente legte den Kopf schief und musterte Rita aus einem ihrer glänzenden Knopfaugen.
    »Ich wüsste, was ich täte«, sagte die Ente.

 
7
     
Auf der Suche nach Gott
     
    Als Michael Kearney erwachte, war es tiefe Nacht. Das Licht war aus. Er hörte rasselndes Atmen.
    »Wer ist da?«, blaffte er. »Lizzie?«
    Das Geräusch verstummte.
    Ein minimal möblierter Raum mit strohfarbenem Hartholzboden, abgeteilter Kochnische und einem Schlafzimmer im Zwischengeschoss; das Apartment gehörte seiner zweiten Frau Elisabeth, die nach der Scheidung in die USA zurückgekehrt war. Die oberen Fenster blickten über Chiswick Eyot bis nach Castelnau hinaus. Kearney rieb sich das Gesicht, erhob sich aus dem Lehnstuhl und stieg die Treppe hinauf. Oben war niemand. Ein Lichtschauer tränkte das zerwühlte Bett und in der Luft spukte noch der schwache Geruch von Elisabeths Kleidung. Er ging wieder nach unten und machte das Licht an. Auf dem Rücken des Healssofas balancierte ein körperloser Kopf. Er war ausgezehrt und sah schlimm aus. Das Fleisch hatte sich an die markanten Stellen des Gesichts zurückgezogen, sodass sich die Knochen scharf unter der gräulichen Haut abzeichneten. Kearney konnte nicht sagen, wem der Kopf gehörte, nicht einmal welches Geschlecht der oder die Betreffende hatte. Sobald ihn der Kopf sah, begann er heftig zu schlucken und die Lippen zu befeuchten, als habe er nicht genug Speichel zum Reden.
    »Ich weiß nicht, wo ich anfangen soll, um die ganze Verdrießlichkeit meines Lebens zu beschreiben!«, rief der Kopf urplötzlich. »Kennst du das, Kearney? Hast du dein Leben jemals als fadenscheinig empfunden? Hast du es jemals mit diesem verschlissenen Vorhang verglichen, der kaum noch in der Lage ist, Wut, Eifersucht und Versagen zu verbergen, den ganzen verzehrenden Ehrgeiz und Appetit, die sich nie ans Licht trauen?«
    »Um Gottes willen«, sagte Kearney zurückweichend.
    Der Kopf lächelte verächtlich.
    »Der Vorhang musste vor allem billig sein. Findest du nicht auch? Wie das Zeug an den Fenstern hier, dieser scheußliche orangerote Stoff, der schon nach dem ersten Tag einen Alterspelz hatte.«
    Kearney wollte etwas sagen, doch sein Mund war ausgetrocknet.
    Schließlich brachte er heraus: »Elisabeth hat nie Vorhänge aufgehängt.«
    Der Kopf leckte sich die Lippen. »Na ja, ich will dir eins sagen, Kearney: Er

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