Licht vom anderen Ufer
Hans Ernst
Licht
vom
anderen Ufer
In den letzten Kriegstagen versteckt die hübsche Anna den amerikanischen Soldaten Oliver in einer einsamen Almhütte. Die beiden verlieben sich, obwohl Anna eigentlich den Sägewerksbesitzer Thomas heiraten soll. Doch nach Kriegsende muss Oliver nach Japan, und für Anna beginnt ein schwerer Weg
.
Sein Gesicht war hager, doch dabei von einer gesunden Röte. Die grauen Augen maßen zuweilen die Linie der Furche, um zu überprüfen, ob sie auch schnurgerade verlief.
Hinter ihm legten sie die Kartoffeln ein. Die beiden kriegsgefangenen Franzosen Jean und André, die Polin Natascha, Anna, die Tochter des Grundhofes, und Emma Brommesberger, eine junge Tagelöhnerin, die sonst im kleinen Gemeindehaus in Blockstein wohnte.
Immer höher stieg die Sonne. Anna schob das Kopftuch in den Nacken und streckte für ein paar Minuten den Rücken gerade. Ihr Blondhaar glänzte in der Sonne. Anna war groß und schlank und hatte das schmale Gesicht ihres Vaters. Nur ihre Augen schimmerten mehr ins Bläuliche.
Neben ihr erschien Emma wie das Kind einer südländischen Rasse. Sie war klein und schmal. Ihr Haar war schwarz und borstig wie das Gefieder eines Raben. Beim Sprechen stieß sie ein bisschen mit der Zunge an und das war schade, denn ihre Stimme war dunkel und von einem schönen Klang. Wie bei allen, die sich nicht dazugehörig fühlen, war ihr Herz von einer drängenden Sehnsucht nach Liebe erfüllt, nach Geborgenheit und Wärme. Und wenn es nicht so streng verboten gewesen wäre, so hätte Emma dem kleinen, blassen Franzosen Jean gerne etwas mehr geschenkt als nur dieses schüchterne Lächeln unter gesenkten Brauen hervor.
Sie war voller Mitleid für diese Menschen. Aber sie durfte nicht einmal die Hand heben, um über die gefurchten Stirnen zu streicheln. Einen Hund durfte man streicheln, aber diese Menschen nicht. Das wäre ein Verbrechen gewesen in dieser Zeit. In der Kreisstadt hatten sie deswegen wie in früheren Jahrhunderten einem Mädchen die Haare abgeschnitten und es an den Pranger gestellt. Emma dachte zwar, dass es um ihren zerzausten Haarschopf nicht schade wäre, aber vor dem Pranger hatte sie Angst. Nein, Emma war kein Mädchen, das den Burschen schlaflose Nächte bereitet hätte. Keiner klopfte an ihr Fenster, obwohl sie sehnsuchtsvoll darauf wartete. Sie hätte nur ein bisschen etwas von dem gebraucht, was Anna an Anziehendem hatte. Zu der sah sie auf wie zu einer unerreichbaren Idealgestalt. Anna brauchte gewiss ihrem Nachtgebet nicht hinzufügen: »Lieber Gott, wenn du es machen kannst, dann schenk mir auch einen Burschen, den ich mögen kann.«
Ja, so betete Emma jeden Abend und fügte ihrer Bitte noch ein paar Einschränkungen hinzu. »Es muss ja nicht gleich ein Prinz sein«, bettelte sie. »Bloß brav soll er sein und nicht ganz so arm wie ich. Ein Häuschen, wenn es sein könnte, oder einen kleinen Bauernhof…«
Aber bisher waren ihre Bitten noch nicht erhört worden und Emma sah ihr Leben schon vorgezeichnet bis ins Alter hinein. Solange sie konnte, würde sie auf den Höfen der Bauern arbeiten, die sie jeweils brauchten. Und wenn sie nicht gebraucht würde, dann saß sie in ihrem Stübchen mit den alten Möbeln, die die Mutter ihr hinterlassen hatte, die auch nur Erntehelferin gewesen war.
Am liebsten ging Emma zum Grundhof. Dort war man immer gut zu ihr gewesen. Dort ließ man sie nie fühlen, dass sie arm war, und Anna schenkte ihr über den Tagelohn hinaus oft einen Spenzer, einen Rock oder ein Paar Schuhe. Sonst aber war Emmas Leben ohne jeden Glanz. Mit schmerzendem Rücken kehrte sie abends in ihr Stübchen zurück und verbrachte einsam ihre Abende.
Der Bauer wendete den Pflug, stieß ihn nochmals in die Erde und spannte dann den linken Zugstrang aus.
»Brotzeit!«, schrie er über den Acker. Dann setzten sich alle in den Schatten der Haselnussstauden am Fuß des Hügels, der sich mit sanften Schwingungen hinunterzog bis ans Ufer der Riss, die weit hinter dem Goldenen Grund entsprang und die Gemeinde mit Strom versorgte. Sie trieb auch das Sägewerk Staffner und die Mühle am westlichen Dorfausgang an. Im Gasthaus »Zu den vier Aposteln« gab es zuweilen Forellen aus der Riss. Jetzt freilich nicht mehr für die gewöhnlichen Sterblichen, sondern nur für die »Herren dieser Zeit«, die
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