Lichterfest
Capone mit Hut und Nadelstreifenanzug das Lokal betreten. Oder der Falten und gängigen Rechtssystemen gegenüber resistente Silvio Berlusconi inmitten einer Schar blutjunger RAI-Blondinen.
José war wie gewohnt unrasiert, trug eines seiner an Geschirrtücher erinnernden karierten Hemden und die Baseballmütze verkehrt herum auf seinem Kopf. Er hatte sich schon den ganzen Abend merkwürdig ruhig verhalten, auch jetzt schien er tief in Gedanken versunken. Ich bemerkte es daran, dass er den attraktiven, wenn auch nicht mehr ganz taufrischen Damen, die an den Tischchen in unserer unmittelbaren Nähe saßen, keine Beachtung schenkte. Bei ihm war das Anlass zu größter Sorge. José schaute mich an, offenbar hatte er bemerkt, dass ich ihn beobachtet hatte. Fragend hob ich die Augenbrauen, doch er winkte ab, lächelte geheimnisvoll und nahm einen Schluck aus seinem Glas. Es war sinnlos, ihn zu drängen. Wenn er ein Problem hatte, würde er früher oder später von selbst darauf zu sprechen kommen. Ich schätzte, dass er dazu noch etwa vier Drinks brauchte.
Jemand stieß mich unsanft an. Ich fuhr herum und blickte in das überraschte Gesicht des türkischen Jungen neben mir. Er hatte schwarz glänzendes schulterlanges Haar, ein stoppeliges Oberlippenbärtchen und etwas zu akkurat geschwungene Augenbrauen.
»Sorry, Mann, war keine Absicht, echt«, entschuldigte er sich hastig, bevor er ganz vom Barhocker rutschte und breitbeinig durchs Lokal Richtung Toiletten schlenderte. Aus dem Augenwinkel nahm ich wahr, dass sein Kollege, der vorhin so gehetzt in die Bar gestürzt war, sich ruckartig vorbeugte und unter dem Tresen herumnestelte, wahrscheinlich an seiner Jacke, die er dort an einen Haken gehängt hatte. Als er meinen Blick bemerkte, richtete er sich auf und lächelte nervös. Noch immer glitzerten Schweißtröpfchen auf seiner Oberlippe und der olivfarbenen Haut unter den Augen, das weiße Hemd klebte an seinem Körper. Er starrte mich Hilfe suchend an. Fast schien es, als wollte er mir etwas anvertrauen, doch dann wandte er sich ab und spähte unruhig durch die Fensterfront der Bar hinaus auf die belebte Straße.
»Wir müssen weiter«, hörte ich Miranda hinter mir dröhnen, ihre Stimme war in der letzten Viertelstunde eine weitere halbe Oktave in die Tiefe gerutscht. Schwer legte sie mir ihre Hand in den Nacken und drückte kräftig zu. »Nicht wahr, Kleiner?«
»Für dich bin ich immer noch Mister Vijay Kumar!«, berichtigte ich sie gereizter als beabsichtigt.
»Nur weil du ein Schnüffler bist, brauchst du dich nicht so aufzuführen!«
»Privatdetektiv!«
»Freunde nennen ihn eh nur Curryfresser«, erklärte Miranda, zur Bardame gewandt.
»Fick dich!«
»Jederzeit, für dich sogar zum Freundschaftspreis.« Miranda hatte aus ihrem Beruf als nicht ganz so leichtes Mädchen noch nie einen Hehl gemacht, was manchmal in der Öffentlichkeit für erstarrte Mienen oder entsetztes Luftschnappen sorgte, nicht jedoch hier.
Die Barfrau grinste und wünschte viel Vergnügen sowie standhafte Kundschaft.
»Also leert die Gläser, Jungs! Hopp, hopp!«
Miranda war aufgedreht. Während José und ich den Rest Prosecco hinunterstürzten, begann sie, mitten in der Bar zu den lateinamerikanischen Rhythmen Shakiras zu tanzen, eine Art Bauchtanz, bei dem die Hüften mit spastischen Bewegungen vor- und zurückgestoßen wurden und der Busen dabei hysterisch wippte. Ein bisschen erinnerte sie an eines dieser unermüdlichen Duracell-Häschen aus der Werbung. Der Ausschnitt ihres Kleides verrutschte dabei bedenklich und gewährte tiefe Einblicke, auch das Hütchen saß in der Zwischenzeit windschief auf ihren karamellfarbenen Locken. Den Schleier hatte sie zurückgeschlagen, damit sie wenigstens sah, wem sie bei ihren wilden Verrenkungen auf die Füße trat.
Der langhaarige Türkenjunge war mittlerweile zurückgekehrt und lehnte jetzt an der Bar. Pfeifend feuerte er Miranda an, während sein Kumpel sie fassungslos anstarrte.
Ich konnte es ihm nicht verübeln.
Er zupfte seinen Freund am Ärmel und bedeutete ihm, dass er kurz rausgehe. Der Langhaarige nickte, ohne seinen Blick von Miranda zu wenden.
» Dios , wenn du nur im Mittelpunkt stehen kannst! Komm raus hier, bevor es Ärger gibt!« José packte die zeternde Miranda unsanft am Arm und zerrte sie hinter sich her zum Ausgang, wo der junge Türke stehen geblieben war und zaghaft durch die Glasscheibe spähte. Als er bemerkte, dass Miranda und José hinter ihm standen und
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