Lichtfaenger 2 - Bruderkrieg
Tränen vermischten sich mit dem Regen.
Sie saßen beide in einer Pfütze und betrauerten Paul. Manuel hielt die Hand des Toten, Marlene streichelte die unversehrte Seite seines Kopfes. Plötzlich durchschnitten helle Lichtkegel den Regen und die Nacht, sie erhellten die Straße vor dem Anwesen. Entsetzt blickte das Paar aus der Pfütze auf. Erst jetzt bemerkten beide, dass das große schmiedeeiserne Tor sperrangelweit offen stand. Zum Glück fuhr das Auto mit unverminderter Geschwindigkeit weiter. Auf allen Vieren kroch Manuel zum Wagen und tastete nach der Fernbedienung. Eine gefühlte Ewigkeit brauchte er, um sie zu finden. Endlich hatte er sie, schnell betätigte er den Knopf zu Schließen. Fast lautlos glitten die großen Flügel zu.
Es war Geisterstunde. Der Regen peitschte unbarmherzig herab. Die Zwei, die im Wald eine Grube gruben, waren völlig durchnässt. Ihre Kleidung klebte wie eine zweite nasse Haut am Körper oder hing als schwere Stofffetzen klamm herab. Der Mond beschien hell und blass die gespenstige Szenerie.
Sie gruben einen Meter entfernt von einer Weide, die an einem Bach stand. Ihrer Weide. Die Weide, die sie gleich nach ihrem Einzug in die Villa entdeckt hatten.
Es war eine romantische Szene gewesen. Die Sommersonne hatte kräftig geschienen. Eine leichte Sommerbrise hatte das Blätterkleid der Weide zart rascheln lassen. Der Bach plätscherte sanft. Marlene war in einem leichten Sommerkleid die Steigung herab gerannt und hatte die Weide am Bach entdeckt. Manuel war hinterher gerannt, hatte die Weide aber noch nicht entdeckt. Vielmehr hatte er auf ihr Kleid geachtet, dass beachtlich kurz gewesen war. Es ließ zwei atemberaubende Oberschenkel sehen. Und ab und zu, beim Berg Herunterrennen, war das Kleid ein bisschen hoch gewedelt. Dabei war eine kaum verhüllte Pobacke zu erkennen gewesen. String Tangas waren gerade modern geworden. An der Weide angekommen, hatte sie abrupt angehalten und hatte sie umklammert. Manuel war nun langsam geworden und war ruhigen Schrittes die Weide zugegangen. Aufreizend hatte Marlene gelächelt. Das musste Manuel nicht erst deuten. Er hatte verstanden gehabt. Es war ein schöner Akt gewesen, am Stamm der hellgrün beblätterten Weide. Zum Glück hatte Marlene nur ein Kleid angehabt. Erschöpft hatten sie anschließend mit einer Handvoll Wasser aus dem klaren Bach ihre erhitzten Gesichter gekühlt. Anschließend hatten sie mit einem herumliegenden Nagel eine Zeichnung in ihre neue Weide geritzt:
Zufrieden hatten sie ihr Werk betrachtet und sich zärtlich geküsst. Wie frischverliebte Kinder standen sie damals Hand in Hand vor dem Baum. Ihre Augen hatten geglänzt. Sehr glücklich waren sie gewesen.
Heute sah die Szene nicht so romantisch aus. Zwei Gestalten gruben im strömenden Regen ein längliches Loch in den märkischen Sand. Sie gruben, als ob ihr Leben davon abhinge. Im Sekundentakt fuhren die Spaten mit einem scharfen Geräusch in den Boden. An den Rändern der Grube türmten sich hohe Wälle von Aushub. Der Regen drohte ständig, die ausgehobene Erde wieder in das Loch zu spülen. Der fast volle runde Mond erleuchtete dieses Ereignis nur schwach. Sie hatten zusätzlich die Scheinwerfer ihres Jeeps angestellt. Diese leuchteten direkt auf die Grabenden und ihr Loch. Dieses Licht zeigte die Grabenden in voller negativer Ekstase. Heute hatten sie keine Lust, an ihrer Weide miteinander zu schlafen. Heute wollten sie keine Liebesschwüre in die Baumrinde ritzten. Der Bach plätscherte nicht sanft und gurgelnd. Er fauchte und sprudelte wütend, weil er das zusätzliche Regenwasser abführen musste. Der blasse Mond und die grellen Scheinwerfer des Jeeps erzeugten eine unheimliche Atmosphäre. Auch ohne Leiche. Die lag nämlich noch im Kofferraum. Eingewickelt in eine Decke, nur die Füße schauten noch heraus. Wenigstens waren noch Füße dran. Zuerst hatte Manuel den Kopf und die Extremitäten abtrennen und nur den Torso hier im Wald vergraben wollen. Den Kopf, die Arme und Beine hatte er dann separat entsorgen wollen. So wäre das Identifizieren schwerer gefallen, hatte Manuel gesagt. Allein, er wusste nicht, wie er das hinkriegen sollte. Wie sollte er dem Mann, der über Jahre sein einziger Freund gewesen war, die Körperteile abschneiden. Er hatte an die Kettensäge gedacht. Doch bei dem Gedanken an diese hätte er sich fast übergeben müssen. Nicht bei seinem Freund. Nicht bei Paul.
Stattdessen hatten sie den ganzen toten Körper in
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