Lichtfaenger 2 - Bruderkrieg
Kapitel 1
Etwas flog mit hoher Geschwindigkeit nur eine Handbreit an ihrem Kopf vorbei. Ruckartig wandte Jil sich um und erblickte einen Dolch, der hinter ihr in der Rinde eines knorrigen alten Baumes steckte. Er vibrierte noch. Vom Schreck vollkommen paralysiert, blieb Jil wie angewurzelt stehen, als eine Gestalt aus dem Unterholz auf sie zusprang. Binnen eines Sekundenbruchteils hatte Jil an den schnellen, katzenartigen Bewegungen erkannt, dass es sich um einen Sedhar oder einen Vartyd handeln musste. Sie hatte sich soeben erst aus Rays Fängen befreien können, und nun das! Und es machte nicht den Anschein, als wolle der Sedhar sie willkommen heißen. Sie schien ein angeborenes Talent dafür zu haben, in Schwierigkeiten zu geraten.
Jil konnte einen flüchtigen Blick auf das Gesicht ihres Angreifers werfen. Seine Augen glühten gelblich, die kurzen dunklen Haare standen ihm wirr vom Kopf ab.
»Canor, komm zurück. Das ist ein Mensch und kein Vartyd«, zischte eine männliche Stimme aus dem Hintergrund. »Willst zu unseren Standort verraten?«
Doch genau dies schien bereits geschehen zu sein. Weitere Gestalten schälten sich aus der Dunkelheit, Jil zählte mindestens fünf. Sie stürmten auf den Mann zu, der Jil angesprungen hatte und nun deckungslos mitten auf dem Weg stand. Ein Zischen ertönte, dann stieß er einen markerschütternden Schrei aus. Ein Pfeil, oder etwas, das einem Pfeil ähnelte, steckte in seinem Unterleib. Eine blonde Frau in einem schwarzen hautengen Anzug stand einige Yards von dem Verletzten entfernt. In ihren Armen lag etwas, das wie eine Armbrust aussah, jedoch weitaus imposanter wirkte. Schon zog sie einen weiteren Bolzen aus einem kleinen Köcher, der auf ihren Rücken geschnallt war. Der Verwundete taumelte kurz, blickte mit seinen gelben Augen auf die Wunde hinab, griff nach dem darin steckenden Bolzen und brach ihn dann ab wie einen Zahnstocher. Für einen Menschen hätte diese Wunde tödlich sein müssen, doch der Sedhar warf den abgebrochenen Bolzen mit einem grimmigen Ausdruck im Gesicht achtlos in ein Gebüsch, als handelte es sich dabei um nicht mehr als einen Splitter, den er sich soeben entfernt hatte. Nur einen Lidschlag später zog er einen unterarmlangen krummen Säbel aus einer Scheide, die an seinen Oberschenkel geschnallt war. Der Griff der Waffe war imposant, kleine Dampfschwaden stiegen daraus auf. Der Mann betätigte einen Knopf am Griff, woraufhin die Klinge rötlich zu glühen begann. Starr vor Schreck stand Jil da, das Blut rauschte in ihren Ohren. Fassungslos beobachtete sie das Geschehen, niemand beachtete sie. Weitere Männer tauchten aus den Gebüschen auf. Ein Schreck fuhr Jil wie eine Revolverkugel durch den Leib, denn darunter erblickte sie auch Crysons Gesicht. Seine Haare waren zu einem dicken schwarzen Zopf geflochten, er trug einen schwarzen Overall. An seinem Gürtel steckten zwei Pistolen in ihren Halftern. Für einen kurzen Moment trafen sich ihre Blicke, Cryson wich mit einem Schlag sämtliche Farbe aus seinem hübschen Gesicht.
»Was machst du denn hier? Los, verschwinde! Bring dich in Sicherheit! Henry, pack sie dir sie und schaff sie…« Cryson kam nicht mehr dazu, den Satz zu beenden, denn ein Angreifer richtete seine Pistole auf ihn und betätigte den Abzug. Jil vermutete, dass es sich um einen Vartyd handelte. Wer sonst würde mitten im Stadtpark eine Gruppe Sedharym angreifen? Doch diese schienen auf den Hinterhalt vorbereitet gewesen zu sein, denn sie alle waren bis an die Zähne bewaffnet.
Das leise Klicken, kurz bevor der Schuss sich löste, hatte Cryson aufschrecken lassen. Einzig seinen übermenschlich schnellen Bewegungen war es zu verdanken, dass er der Kugel ausweichen konnte.
Als Jil endlich aus ihrer Unbeweglichkeit erwachte, taumelte sie einige Schritte zurück, den Blick panisch auf die Kämpfenden gerichtet. Noch immer beachtete sie niemand, auch Cryson war jetzt viel zu sehr in den Kampf vertieft, um sich um die zierliche Menschenfrau zu kümmern, die wieder einmal Zeuge eines Kampfes wurde. Als sie mit dem Rücken gegen einen Baum stieß, griff Jil in einer instinktgesteuerten Bewegung nach einem tief hängenden Ast und schwang sich hinauf. Sie kletterte bis in die Baumkrone und krallte sich in das Astwerk.
Bitte nicht noch einmal. Ich kann das nicht noch einmal ertragen. Weshalb bin ich nicht bei Firio geblieben?
Das Gemetzel im Park hätte zweifellos aus einer Horrorgeschichte stammen können. Schwerter wurden
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