Lichtfaenger 2 - Bruderkrieg
das Auto gewuchtet. Marlene und Manuel hatten nachdem sie das Anwesen gekauft hatten, einige Hektar Wald dazugekauft. Für ihre Fahrten durch diesen Wald hatten sie einen extra einen Offroader gekauft. In diesen hatten sie ihren toten Hausdiener verbracht und waren zu ihrem Baum gefahren. Mühelos hatte der Jeep die Kilometer bis zur Weide am Bach gefressen. Wenn eine starke Unebenheit passiert wurde, rumpelte es hinten ein wenig. Es war Paul Klawitters Körper, der dann hin und her rollte und gegen die Wände des Offroaders schlugen. Fahrer und Beifahrer hatten krampfhaft versucht, nicht darauf zu achten. Beide starrten angestrengt aus der Frontscheibe. Die Scheibenwischer hatten Schwerstarbeit zu verrichten. Marlene fühlte sich sofort an das Blut auf der Frontscheibe des Mercedes erinnert und hatte leise gestöhnt. Ansonsten war sie tapfer gewesen. Sie hatte apathisch aus der Frontscheibe gestarrt und ihr Taschentuch geknetet.
„Es reicht“, bestimmte Manuel knapp, als er die Größe des Lochs überprüfte.
Sie schauten sich noch einmal hektisch um, bevor sie die Heckklappe des Jeeps öffneten. Langsam zogen sie Paul heraus. Marlenes Unterlippe zitterte in vollkommener Verzweiflung.
„Sollen wir es wirklich tun“, fragte sie, dabei war sie kaum zu verstehen.
Dabei unterbrach sie nicht ihre Tätigkeit. Daran konnte man sehen, dass die Frage nur rhetorisch gemeint war. Sie zerrten den Leichnam zur Grube. Er wurde langsam starr. Manuel half das. Durch die einsetzende Leichenstarre erinnerte Paul jetzt weniger an einen Mensch. Beim Hineinhieven in die Grube zeigte sich, dass die Starre aber auch Nachteile hatte. Sie stürzten die Leiche kopfüber in die Grube. Dort wo sie mit dem Kopf aufschlug, blieb sie wie ein Klotz liegen. Es sah grotesk aus, wie Paul dort zur Hälfte in der Grube lag, den Kopf verdreht. Die Beine schauten noch hinaus. Es hätte das Werk eines abstrakten Malers sein können. Sie rüttelten an dem Leichnam herum, aber er rutschte nicht tiefer hinein.
„Es hilft nichts“, flüsterte Manuel, „wir müssen in die Grube und die Leiche hineinziehen“.
So schnell war aus Paul Klawitter, dem besten Freund der Familie, „die Leiche“ geworden. Zum Glück, dass das Gehirn eine solche Schutzfunktion hat. Manuel sprang in die Grube, Marlene sprang zögernd hinterher. Es regnete immer noch unaufhörlich. Dadurch hatte sich der Sand in der Grube in Matsch verwandelt. Marlene hatte immer noch ihre Stöcklschuhe von der Party an. Sie versank augenblicklich bis zu den Knöcheln im Schlamm. Mit vereinten Kräften zogen sie an der Leiche. Langsam bewegte sich nun der ganze Körper in die Grube. Durch die Bewegung des Toten im Schlamm entstand ein rhythmisches Schmatzen. Angewidert verzog Marlene das Gesicht. Doch es kam noch besser. Als sie den Toten genau in der Grube hatten, ließen sie den Oberkörper fallen. Beim Aufprall auf den Boden der Grube, rülpste die Leiche. Das war zuviel für Marlene. Sie presste ihre Fäuste an die Schläfen und schrie. Und schrie. Und schrie.
Manuel konnte sie nicht beruhigen. Er glaubte zwar nicht, dass jemand in der Nähe war und das hörte, aber man konnte ja nie wissen. Nachdem das beruhigende Zureden gar keine Wirkung gezeigt hatte, presste er seine Hand auf ihren Mund. Das dämmte zwar die Lautstärke des Geschreis, aber ans Aufhören dachte Marlene offensichtlich nicht. Impulsiv schlug Manuel ihr ins Gesicht. Das Schreien stoppte augenblicklich. Unabsichtlich hatte er sehr viel Kraft in den Schlag gelegt. Selbst im Halblicht des Mondes und der Scheinwerfer war ein kräftiger roter Abdruck zu erkennen. Aber der gewünschte Effekt hatte sich eingestellt. Marlene schrie nicht mehr. Vielmehr sagte sie gar nichts mehr. Apathisch schaute sie Manuel an. Die Unterlippe zitterte wieder wie bei einer Sopranistin.
Aber sie schwieg. ..
Mario Lenz,
1978 in Berlin geboren, besticht durch seine phantasievolle, volksnahe Erzählweise. Dadurch werden seine Figuren plastisch - so richtig zum Anfassen. Dass er dabei auch mal etwas derber zulangt, gehört ebenfalls zu seinem Stil.
Sein erster Roman - Des Mörders Rache -, an dem er fast ein Jahr gearbeitet hat, weist gerade diese Merkmale sehr deutlich auf. Auch sein Nachfolgeroman „Schleichender Wahnsinn“ wird den Leser mit eher derben Sprachelementen begeistern. Allerdings kommt bei diesem Roman noch eine verträumte Note hinzu, die wunderbar mit der drastischen Erzählweise kontrastiert.
Mario Lenz arbeitet
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