Lichtfaenger 2 - Bruderkrieg
sprechen diesen Namen wie „Señora Err-or“, Frau Irrtum, oder wie „Señora Horr-or“ aus. Was beides nicht ganz unzutreffend war – auch in Bezug auf Kathrin.). Auch darüber lache ich heute nicht mehr.
Striezel und Kathrin: Irgendwie passten sie zusammen. Beide waren hager und groß und hatten etwas Grausames an sich. Etwas Überkorrektes, das ich ihnen nicht abkaufte.
Kathrin fixierte mich. Wie viel wusste sie? Sie kniff die Augen zusammen und wandte sich kurz zu Herbert. Er bemerkte das und schaute schnell auf den Seitenplan vor ihm auf dem Tisch. Ich zuckte zusammen und fühlte mich wie einst in der Schule, wenn ich nicht wusste, ob die Lehrerin mir während der Klassenarbeit von hinten beim Mogeln zuschaute. Nur dass mir die Lehrerin diesmal nichts konnte. Dachte ich und sah mich schon auf ihrem Platz sitzen.
Ich biss mir auf die Unterlippe. Herbert, was ist los mit dir? `Wer ist hier der Chef?´, so wollte ich ihn fragen. Und da sah ich, dass er schwitzte. Der Schweiß nässte durch sein Hemd; Tropfen glitzerten auf seiner Stirn.
Ich erkannte meinen Chef nicht wieder. Aus dem Löwen war ein zahnloser Fall für den Tierschutzverein geworden.
Es war ein Tag im April, und dieser April war sommerlich warm. Aus der Klimaanlage an der Decke ergoss sich ein eisiger Strom in den Raum; das Öffnen der Fenster war im Sitzungsraum nicht möglich. Ich fror und sehnte den Moment herbei, an dem ich meine Fahrradklamotten überstreifen und durch den Tiergarten rauschen, den Geruch nach Fruchtbarkeit einsaugen, den Vögeln lauschen würde.
Ich schaute nach draußen. Auf der linken Seite des Reuterplatzes stand die mit braun verspiegeltem Glas eingehüllte Zentrale der Reuterbank, Herberts zweiter Arbeitsplatz. Die Fenster seien die Augen eines Hauses, sagt man. Warum tragen die dreizehn Geschosse der Reuterbank sozusagen eine verspiegelte Sonnenbrille? Ich fragte mich, ob die da drüben etwas zu verbergen haben.
Gut dreieinhalb Stunden hatte ich mir die neuesten Telefontarife und DSL-Angebote angehört, die heißen Aktientipps, die News aus der Fondsbranche und Baufinanzierungen im Vergleich. Bring es hinter dich, dachte ich, als ich an der Reihe war und trug meinen Themenkomplex vor: Die Vor- und Nachteile von privaten und gesetzlichen Krankenversicherungen, Tarif- und Leistungsvergleiche.
Dann der Höhepunkt: Zusatzpakete für Zahnersatz. Drei Wochen lang hatte ich den Markt durchforstet, Tabellen angelegt, versucht, das Unvergleichbare vergleichbar zu machen, Berge von Kleingedrucktem gewälzt. Striezel, der Verifikator und Stachel in meiner Seite, warf mir skeptische Blicke zu. Ich kriege dich, wollten seine Augen sagen. Ich war gespannt, ob er auch dem Paragraphenmonster Zahnersatz auf den Zahn fühlen und mir zwecks Verifikation meiner Behauptungen auf meinem Leidensweg folgen würde. Demonstrativ ließ ich eines der Aktenbündel auf den Tisch knallen, die ich hinter mir auf dem Boden gestapelt hatte. In Gedanken fragte ich ihn: Na, mein Freund, willst du dir das wirklich antun?
Ich blickte ihn entsprechend an. Doch er wich nicht aus, sondern hob langsam das Kinn, straffte seine Haltung und verschränkte die Arme. Ich schlang meine Beine und meine eisigen Schweißfüße fester ineinander.
Hätte man mich damals gefragt, ob mich das Versicherungsgeschäft überhaupt interessiert, so hätte ich geantwortet: „Selbstverständlich, schließlich ist das mein Beruf!“ Worüber ich heute lachen muss.
Endlich Sitzungsende. Beim Hinausgehen fragte ich Herbert:
„Wo sind denn deine Blessuren? Hast du laufen gelernt?“
„Sehr witzig. Hast du heute Abend Zeit, so ab sieben?“, fragte er.
„Wird schwierig“, antwortete ich. „Ich muss zum Chorsingen.“
„Und morgen?“
„Geht auch nicht. Betriebssportgruppe. Muss Rennrad fahren.“
In der letzten Zeit war Herbert besonders anhänglich geworden. Es machte mir Spaß, ihn ein bisschen zappeln zu lassen.
„Freitag?“, fragte er.
Ich schaute mich um. Kathrin war außer Hörweite. Ich zischte:
„Mensch, Herbert, da bin ich doch ab fünf bei euch zum Babysitten.“
Ja, Babysitten. Ich bin verrückt nach Kindern. Kathrin und Herbert hatten ein dreijähriges Söhnchen, Julian. Mit blonden Löckchen und großen blauen Kulleraugen. Ich bin sicher: Irgendwo in Oberbayern gibt es eine barocke katholische Kirche, in der ein Engelchen fehlt.
Ich bin ein schwerer Fall von Gluckensyndrom. Welch rührender Versuch, dem Unausweichlichen, dem
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