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Lichthaus Kaltgestellt

Lichthaus Kaltgestellt

Titel: Lichthaus Kaltgestellt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Paul Walz
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kennen ihn wohl eher unter Attila.«
    »Attila? Na klar. Der Schwertkämpfer aus Morbach. Netter Kerl. Wir waren zweimal, glaube ich, bei denen oben. War schön lustig.« Er machte eine Pause und hing seinen Gedanken nach. »Damals hatte ich noch Spaß. Keiner hat gegen mich gewonnen. Da hatte ich auch Freunde. Ursus, der Bär, war ich. Das Arschloch, den jeder vor seinen Wagen spannen konnte. Walter hier, Walter da. Ich hab ihnen geholfen, im Feld, im Stall, beim Häuserbauen, immer war ich da. Meinten wohl, der hat ja keine Frau, der hat ja Zeit. Und jetzt kennen sie mich nicht mehr. Den mit der Hackfleischfresse wollen sie nicht um sich haben.«
    »Ich wollte …« unterbrach Lichthaus, doch Hermann hörte nicht mehr zu.
    »Wissen Sie was? Ich habe keine Verwandten außer meiner Schwester. Die hat so ’nen Ami geheiratet. Einen Neger; hat ihr sofort mit seiner langen Lunte ein Baby verpasst, und ab ging es nach Alabama. An den Arsch der Welt. Ich war mal da vor so zehn Jahren. Hausen im letzten Loch. Die haben noch nicht mal das Geld, um hierher zu fliegen. Früher habe ich ihr heimlich Geld geschickt. Für die Kinder. Da war ich unten auf der Romika und habe Schuhe geklebt. An Weihnachten ruft sie noch an. Fünf Minuten im Jahr. Spricht mittlerweile Deutsch wie ich nach einer Zahnbehandlung. Sonst ist da kein Schwanz in meinem Leben. Ich bin so allein, als würde ich mitten in der beschissenen Sahara hausen. Kein Mensch, der mal was sagt oder auch nur anruft. Anfangs schon. Heute bin ich vergessen. Abgelegt.«
    Im Dämmerlicht sah Lichthaus plötzlich Tränen glitzern.
    »Die Kinder im Dorf schreien mir Quasimodo oder Zombie hinterher, wenn ihre Eltern nicht dabei sind. Würgewalter lach doch mal!, ist auch beliebt bei diesen kleinen Kröten. Ich gehe nur noch morgens aus dem Haus, um unten im Laden ein paar Sachen zu kaufen. Dann sind die meisten von der Brut in der Schule oder auf der Arbeit. Alle anderen schauen weg. Voller Ekel. Sind froh, wenn ich wieder raus bin. Bin mal draußen stehen geblieben und habe zurückgeschaut. Die Kassiererin hat sich sofort die Flossen gewaschen. Die blöde Sau«, er brütete vor sich hin. »Ich war doch mal ihr Freund!« Den letzten Satz schrie er.
    Die Demütigungen und seine hilflose Wut quollen wie bittere Galle hervor. Und Lichthaus war sein Ventil. Einer, der sich nicht wegdrehte. Früher hätte man ihm ein Glöckchen aufgezwungen, damit die Leute rechtzeitig weglaufen konnten.
    »Es tut mir leid«, sagte er nun schon zum zweiten Mal an diesem Tag.
    Hermann zündete sich die nächste Zigarette an. »Letzten Karneval habe ich eine Maske angezogen und bin an Rosenmontag durch ganz Trier gelaufen. Ne Zombiemaske«, er lachte gequält. »Alles war wie früher. Keine Blicke, kein Ekel in den Visagen. Das mache ich wieder, das war schön.« Er schwieg und auch Lichthaus sagte lange nichts.
    »Also, zu meinen Fragen. Ich suche einen Mann, der damals noch ein Junge und in der Mittelalterszene dabei war.«
    »Ich kenne keine Jungen von damals.« Hermann schien abwesend.
    »Mann, helfen Sie mir! Der rennt rum und bringt Frauen um.«
    »Ist mir egal! Soll er doch. Auf mich nimmt das ganze Scheißgesocks ja auch keine Rücksicht.«
    »Ach, jetzt hören Sie doch auf, Sie sind doch gar nicht so, sonst würden Sie sich nicht einsperren.«
    Hermann schwieg und wischte sich die Augen.
    »Sie haben Recht. Früher war ich nicht so. Einsamkeit macht hart. – Wieso soll der ausgerechnet bei uns mitgemacht haben?«
    »Muss nicht, aber unser Psychologe vermutet, dass der Mann aus dem Raum Trier stammt.«
    »Okay, Sie lassen ja doch keine Ruhe. Wir hatten zwei Jungs, die immer mit rumgezogen sind. Warten Sie mal.« Er erhob sich und schlurfte zum Regal. »Ziehen Sie mal den Rollladen hoch!«
    Dem kam Lichthaus nur zu gerne nach. Am offenen Fenster atmete er tief ein. Er fühlte sich wie ein verschütteter Bergarbeiter, den man ausgegraben hatte. Hermann schien sich zu konzentrieren und vergaß seinen Groll. Aus einer Schublade kramte er ein Fotoalbum hervor und legte es vor sich auf den Tisch. Lichthaus trat hinzu und betrachtete die Bilder. Er hatte sich auf die Seite der gesunden Gesichtshälfte gestellt. Den Gestank, der aus den Kleidern des Mannes strömte, nahm er hin.
    Die Fotos waren typisch für private Alben. Laienhafte Knipsereien, die keiner fotografischen Kunst dienten, sondern Erinnerungen einfingen. Die Farben hatten sich über die Jahre verändert und gaben allem einen

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