Lichthaus Kaltgestellt
Auf einem Tisch gegenüber lag der Helm mit Visier. Er war makellos und auf Hochglanz poliert. Die schmalen Sehschlitze boten sicherlich nur wenig Sicht. Gleich daneben und wie die Reichsinsignien auf einem Kissen lag das Schwert, befestigt an einem Gürtel. Es war kunstvoll geschmiedet. Er stieß das Schwert wieder in die Scheide. Die Rüstung eines Mannes, der sich für auserwählt hielt. Ein Irrer, der sich einem König gleich selbst erhöhte, voller morbider Arroganz. Lichthaus schüttelte den Kopf und zog seufzend den Dolch hervor, der neben dem Schwert lag. Zweischneidig mit scharfer Spitze. Die Waffe, die Scherers Leben ein Ende gesetzt hatte.
Er löste sich von seinen Gedanken und fotografierte wie schon zuvor in der Scheune den gesamten Raum mit dem Handy. Die Uhr zeigte Sechzehn Uhr. Bereits zwanzig Minuten waren vergangen und immer noch keine Kollegen.
Hinter der Tür dem Ausgang gegenüber fand er, was er gesucht hatte. Die Folterkammer. Der fensterlose Raum maß vielleicht fünfundzwanzig Quadratmeter. Decke und Wände waren mit dickem Schaumstoff beklebt. Nur die Tür hatte keinen Schallschutz, durch die schmalen Ritzen rundherum konnten also Geräusche nach draußen gelangen, aber wohl auch von dort hier hereindringen. In der Mitte ein Bett, ein Metallgestell mit einer Matratze, dahinter in die Mauer eingelassen zwei stählerne Ringe. Dem Bett gegenüber stand ein Schrank. Direkt daneben ein Stativ ohne Kamera. Der Boden war säuberlich gefliest, der Geruch von Desinfektionsmitteln hing in der Luft und gab allem einen reinen Anschein, doch die Wände schwitzten aus, was sie gesehen und gehört hatten. Er glaubte, die Schmerzensschreie hören zu können. Angst und Verzweiflung, verbranntes Fleisch, kehliges Stöhnen, flehende Bitten und die Ruhe nach dem Tod überwältigten ihn.
Schweiß rann ihm den Rücken hinab und bildete einen feuchten Fleck oberhalb des Gürtels. Er fotografierte, um sich abzulenken und öffnete den Schrank. Das Werkzeug der Schmerzen breitete sich vor ihm aus. Messer, Schlingen, Zigaretten, ein Bunsenbrenner, der Rasierapparat zum Schneiden der Haare und vieles andere, dessen Funktion er nicht verstand oder verstehen wollte. Übelkeit stieg in ihm hoch, er rang nach Luft und floh schließlich. Rannte den Gang entlang, die Treppe hinauf ins Freie und atmete tief durch. Es dauerte eine Weile, bis er endlich wieder klar denken konnte. Er telefonierte, rief Sophie Erdmann an, auch Schweiger, doch nach wie vor meldete sich niemand. Die Kollegen waren gewiss unterwegs. Gott sei Dank. Sein Atem ging wieder ruhiger.
*
Simone Simons schrie auf. Kurz und hektisch und so laut, dass sich die Menschen im Reisebüro nach ihr umdrehten. Sie sprang von der Eingangstür zurück, trat Dennis auf den Fuß, stolperte gegen einen Ständer und riss Prospekte von Spanien und Portugal herunter, trampelte auf lachende Gesichter.
Sie hatten ihren Urlaub gebucht und würden in den Herbstferien in die Sonne fliegen. In die Türkei, all-inclusive, Tauchkurs und Bootsfahrten noch dazu. Voller Freude hatten sie die Einzelheiten geplant, nachdem Mama ihr Einverständnis gegeben hatte.
Doch das interessierte sie jetzt nicht mehr. Nicht Dennis’ Fluch, nicht die heranlaufende Verkäuferin, die irgendetwas vor sich hin maulte. Ihr Blick klebte an dem Pick-up mit Campingaufsatz. Hinten, gleich neben der Tür, sah sie den Ritter und wusste, wer dort vorbeifuhr. Sie hatte von seinen Augen geträumt. Immer wieder war sie mit laut pochendem Herzen aufgeschreckt und konnte dann nicht mehr einschlafen. Täglich durchforstete sie akribisch die Zeitung, um endlich zu lesen, dass der Kerl geschnappt wäre, aber zu ihrer Verwunderung geschah nichts. Sie war in die Dienststelle gegangen, und der nette Polizist hatte ihr versichert, dass der Bericht der Mordkommission zugegangen sei. Dennis wusste von ihrer Angst und versuchte, sie damit zu beruhigen, dass die Polizei ja bereits ermittle. Jetzt blickte er aus dem Fenster, sah und erkannte, was sie geschockt hatte. Unschlüssig stand er mit halb offenem Mund neben ihr und starrte sie ratlos an.
»Komm.« Simone Simons griff seine Hand und zog ihn auf die Straße.
*
Lichthaus zog die Kommode auf und durchsuchte den Inhalt. Er wischte sich den Schweiß von der Stirn und fluchte leise über die Latexhandschuhe. Er war zurückgegangen. Vorbei an der Folterkammer – er würde sie nicht mehr allein betreten – hinauf in die Wohnung, in das Universum eines kranken,
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