Lichthaus Kaltgestellt
sie sich an Einzelheiten erinnert, die nicht in den Akten stehen.« Er wandte sich an Sophie Erdmann. »Ich spreche auf jeden Fall für morgen einen Termin ab. Wir fahren dann gemeinsam hin. Ich hätte Sie gerne als Frau dabei. Drittens muss sofort morgen früh die Anwohnerbefragung in und um Farschweiler anlaufen. Gesucht wird ein unbekannter Geländewagen mit Hänger, den ein großer Mann letzte Woche zwischen Dienstag und Donnerstag gefahren hat.«
»Und viertens«, ergänzte Sophie Erdmann, »sollten wir die Beschwerdeanzeigen durchsehen, ob nicht eine Belästigung gemeldet wurde. Wenn er Frauen observiert, dann fällt er auch mal auf.«
Lichthaus nickte. »Gute Idee. Also voyeuristische Beschwerden im Umkreis von fünfzig Kilometern. Könnten Sie das veranlassen, Herr Müller?«
»Ja. Das wird aber dauern. Manche Beschwerden werden nicht digital erfasst. Außerdem hinken einige Wachen wegen Personalmangels weit hinterher.«
»Die Aktion im Hunsrück schaffen wir nicht allein.« Er wandte sich an Müller und Cornelia Otten. »Wir sollten eine Soko einrichten und ein paar Kollegen zusammenziehen, die mit uns zusammenarbeiten.«
»Nun.« Müller zögerte einen Augenblick und Lichthaus schwante schon Übles, doch diesmal lenkte der Kriminaldirektor ein. »In Ordnung. Morgen stellen wir das Team zusammen.«
Die Pressekonferenz lief wie erwartet ab. In dem engen Raum wimmelte es nur so von Reportern, die eine Story witterten. Das Sprechen überließ er Cornelia Otten. Sie informierte die Wartenden darüber, dass die Leiche identifiziert worden sei und gab Eva Schneiders Namen bekannt. Außerdem wiederholte sie den Aufruf an die Bevölkerung, Verdächtiges sofort zu melden. Viele Fragen der Journalisten ließ Otten unbeantwortet und gab nur die Fakten weiter, die ermittlungstaktisch unkritisch waren. Nach einer halben Stunde war das Palaver vorüber.
*
Die Akten von Viktor Rosner bestärkten Lichthaus in seinem Verdacht. Scherer hatte zwar die wichtigsten Fakten ordentlich zusammengefasst, doch zusätzlich lernte er anhand Rosners Vernehmungsprotokollen einiges über dessen Charakter. Er war ein gut aussehender Mann und wirkte freundlich und harmlos, so dass Frauen sich leicht von ihm ansprechen ließen. Hinter der Fassade sah es anders aus: Rosner hatte offensichtlich keinerlei Unrechtsbewusstsein und auch nicht ansatzweise Mitleid mit seinen Opfern. Aus den protokollierten Aussagen ging hervor, dass er der Meinung war, die Frauen seien selbst schuld an den Geschehnissen. Er habe ja nur das getan, was sie ohnehin gewollt hätten.
Die Fotos und Einlassungen der Opfer sprachen eine andere Sprache. Einer Frau waren von den Schlägen nicht nur beide Augen zugeschwollen, auch ihr Körper wies unzählige Verletzungen auf. Lichthaus war vom Ausmaß der Brutalität angewidert. Hinzu kamen noch die seelischen Wunden. Im Prozess sagte eine junge Frau aus, sie habe ihre jüngst begonnene Ausbildung abgebrochen und befinde sich nach einem Selbstmordversuch in psychologischer Behandlung. Rosners Vorgehensweise und auch die Verletzungen, die auf den Fotos zu sehen waren, wiesen Parallelen zu Eva Schneiders Leiden auf. Das Urteil war damals relativ milde ausgefallen, da Rosners Persönlichkeit laut Gutachter gestört war. Zurzeit lief noch seine Bewährung. Lichthaus war gespannt auf die Befragung.
Dann versuchte er zum wiederholten Mal, Stefanie Ludwig, die vor ihrer Heirat Cordes geheißen hatte, in Bingen anzurufen und hatte endlich Glück.
»Ludwig?« Ihre Stimme war ruhig und unbefangen, keinesfalls unsicher.
»Guten Tag, mein Name ist Johannes Lichthaus. Ich bin Kriminalbeamter der Polizei in Trier.« Sie unterbrach ihn.
»Was wollen Sie von mir?« Sie klang nun abweisend, aber auch ängstlich. Lichthaus beschloss, sehr behutsam vorzugehen.
»Nun, es geht um das Verbrechen, dem Sie zum Opfer gefallen sind.«
»Habt ihr das Schwein?« Sie flüsterte. Lichthaus konnte vor seinem geistigen Auge sehen, wie sie den Hörer umklammerte, ins Telefon hineinkroch, konnte spüren, wie Hoffnung und zugleich auch Panik in ihr hochkamen.
»Nein. Wir …« Sie unterbrach ihn grob.
»Ich habe euch das Ganze doch schon hundertmal erzählt. Lasst mich endlich damit in Ruhe. Ich will nicht mehr!«
Lichthaus zögerte. Aus den Akten wusste er, dass sie verheiratet war und ein Kind hatte. Allem Anschein nach wollte sie nur ein normales Leben führen und vergessen. Er war sich nicht sicher, ob er ihr eine weitere Befragung
Weitere Kostenlose Bücher