Lichtschwester - 8
die Zeit, sobald sie erst hinreichend genesen wäre? Er könnte sie ja dann jeden Augenblick zu sich rufen lassen -außer natürlich während ihrer Menstruation. In diesen Rekonvales-zenztagen wurde sie von einer jungen Konkubine namens Verit gepflegt, einer rehäugigen Blondine, die kaum ihren Kinderschuhen entwachsen war, ein auffallend zartes Gesicht hatte und - wie ihr selbstverständlich dünnes Seidengewand ahnen ließ - schon sanfte Rundungen aufwies. Sie sprach in leisem, singendem Tonfall und mit einem Akzent, den Marayd nicht so recht einordnen konnte.
Sie verhielt sich gegenüber Baytilis und anderen Frauen höheren Rangs, also praktisch gegenüber allen hier, sehr unterwürfig und diente, wie die meisten Konkubinen, den Favoritinnen als Zofe. In ihrer doppelten Knechtschaft, als Sklavin von Sklavinnen, war sie auf der untersten Stufe dieser perversen Miniaturgesellschaft. Und doch … Marayd spürte, als ihre Schmerzen etwas nachgelassen hatten, daß Verit nicht so wesenlos war wie all die anderen Frauen im Harem. Die Kleine hatte etwas Besonderes an sich … aber was es war, hätte Marayd nicht sagen können. Sie nahm sich aber vor, das herauszufinden, und fragte daher, als Verit ihr eines Tages wieder den Verband wechselte: »Sag, wie alt bist du ?« »Fünfzehn.«
»Und wie lange bist du schon hier?«
»Seit meinem zwölften Lebensjahr. Ich bin im Harem des Königs Zai geboren und aufgewachsen und kam als Teil des Einsatzes, den er bei einer Turnierwette an Gambreol verloren hatte, hierher.« »Hast du jemals außerhalb eines Harems gelebt?« »Nein. Was ich von der Welt gesehen habe, das habe ich bei der zehntägigen Reise hierher durchs Fenster meiner Sänfte gesehen«, versetzte Verit mit nun träumerischen Augen. »Aber ich weiß, wie es draußen in der Welt zugeht … Und zwar von den Neulingen, die nicht im Harem großgeworden sind.« »Von Frauen wie mir?«
Die Kleine nickte. »Das ist auch einer der Gründe, warum ich dich pflegen wollte. Sonst diene ich Lady Baytilis. Aber sie hat ein Dutzend Zofen, und selbst sie kann uns nicht die ganze Zeit über beschäftigen. «
»Ich bin dir sehr dankbar und revanchiere mich gern mit Berichten über das, was ich von der Welt gesehen habe. Aber du hast gesagt, das sei nur einer der Beweggründe gewesen …«
»Ja, auch weil … wie soll ich das sagen? Du bist anders als die anderen, weit geistvoller als die gut dreißig Neulinge, die ich in den vergangenen drei Jahren kennengelernt habe.«
»Ich hatte auch bei dir gleich so ein Gefühl… Du bist nicht wie die anderen Haremsfrauen«, sagte Marayd.
»Ich kann lesen und schreiben«, flüsterte Verit ihr ins Ohr.
Marayd blinzelte ungläubig und erwiderte: »Aber das ist hier doch verboten, soweit ich weiß.«
»Ich habe es im Harem von König Zai gelernt. Da war es zwar auch untersagt, aber ein Eunuch, mit dem ich mich anfreundete, hat es mir heimlich beigebracht. Er gab mir auch einige Bücher.« »Hast du welche hier?«
Verit schüttelte den Kopf. »Dafür wird hier alles immer zu genau durchsucht. Ich kenne zwar Verstecke für meine kleinen Schätze, wie Edelsteine und Münzen, aber so sperrige Dinge wie Bücher, die würden schnell entdeckt! Hast du schon viele Bücher gelesen?«
»Nein, ich kann nicht lesen. Ich hatte zwar oft Gelegenheit, es zu lernen, habe sie aber nicht genutzt. Und du, du hattest kaum eine Chance dazu … hast sie aber wahrgenommen!«
Verit war freundlich und sehr aufmerksam zu Marayd und zeigte ein Interesse, das über die bloße Sorge um eine verletzte Fremde weit hinausging. Sie wollte sich mit dieser Neuen offenbar anfreunden. Und Marayd brauchte jemanden, der sich im Harem gut auskannte und ihr vielleicht - wenn sie selbst dazu nicht in der Lage war - das benötigte Material beschaffen könnte. Natürlich platzte sie mit ihrem Wunsch nicht einfach heraus. Denn jede ihrer Mitgefangenen würde sie entweder verraten oder mit ihr fliehen wollen - und sie dann doch noch verraten, sobald sie ihr die Unmöglichkeit einer gemeinsamen Flucht offenbart hätte.
Als Marayd einigermaßen genesen war, zog sie bei Verit ein und erzählte ihr immer wieder stundenlang von ihren Abenteuern und denen anderer Leute. Verit lauschte immer unbewegten Gesichts.
Aber Marayd hätte schwören können, daß sie sich nach jener Welt sehnte, die diese Geschichten schilderten. Und bei einer dieser Gelegenheiten fragte Marayd unvermittelt: »Hör mal, was würdest du machen, wenn du frei
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