Lichtschwester - 8
schlank und
muskulös, Sankt Michael sei Dank! Aber die Reflexe sind langsa-
mer geworden, und dann das böse Knie und der schlimme Ellbo-
gen, diese Narben, die bei kaltem Wetter schmerzen, ja, und eben
nicht mehr die Ausdauer wie früher. Ich muß ihn auf Anhieb erle-
digen. Falls mir das nicht gelingt, müssen sie sich eine andere Dra-
chentöterin holen.
Beim letzten Kampf, gut ein Jahr zuvor, wäre sie um ein Haar auf
der Strecke geblieben - gegen einen jungen, unerfahrenen Dra-
chen. Und von dem hier hieß es, er sei alt und schlau.
Aber der Ritt nun hatte ihr schon gut getan. Ihre Morgensteifheit
und die Schmerzen waren wie weggeblasen. Sie setzte sich auf-
recht und überließ sich dem Rhythmus der kraftvollen Schritte
Briands. Nein, das Leben in einer Burg oder Residenz, den Fami-
lienalltag mit all seinem Ärger, hätte sie nicht ertragen. Dies hier
war es, was sie liebte; für sie kam nichts anderes in Frage. So an
einem schönen, klaren Morgen hinausreiten, die Sonne aufgehen
sehen und die Vögel singen hören, diese reine Landluft riechen …
Rein? Sie krauste die Nase und schnupperte. Verdammt, es stank
schon leicht nach Schwefel! Da zügelte sie ihr Pferd und blickte
sich um. Nach dem, was man ihr im Dorf gesagt hatte, müßte sie
nun in der Nähe seiner Höhle sein: Zur Rechten und Linken ge-
nau die angekündigten hohen Felsen. Die Vegetation war jedoch
üppiger, als sie erwartet hatte. Vielleicht war es ja noch ein
Stück! Aber in meinem Alter sollte man wohl kein Risiko einge-
hen, dachte sie. So zog sie ihre Kettenhaube an, setzte sich den
Helm auf und zog ihre Handschuhe an, lockerte ihr Schwert,
nahm den Schild hoch, rückte ihre Lanze zurecht und ritt dann
wachsam weiter.
Da kam der Drache, wie aus dem Hang geschossen! Er flog eine
enge Schleife, stieß mordlüstern auf sie herab. Sie duckte sich
unter den Schild, griff nach der Lanze. Aber ihr Ellbogen streikte. Die Lanze fiel zu Boden. Ein Glutstrahl traf sie. Ich bin tot, dachte sie, und dann dämmerte ihr, daß sie ja noch am Leben war. Aber wo ist der Drache? Ratlos suchte sie den Himmel ab.
Nichts. Aber da, zwei Drachenlängen vor ihr, da kauerte er; und einen Flügel hielt er merkwürdig schief. Siegesgefühl erfüllte sie.
Ein Drache mehr! Nun eine scharfe Attacke auf ihrem Hengst, mit eingelegter Lanze … aber das würde sie nicht mehr schaffen.
Und der Drache würde gleich seinen zweiten Angriff fliegen …
Aber er machte keinerlei Anstalten dazu. Sehr seltsam. Weshalb war er überhaupt am Boden? Sie musterte ihn scharf. Seine Schuppen wirkten matt und stumpf, einige sogar brüchig. Dieser riesige Flügel war ganz ausgefranst. Und an einer Tatze fehlten etliche Krallen. Nun riskierte Yngilda etwas, wovor alle jungen Drachentöterinnen in spe streng gewarnt werden: Sie blickte ihm in die Augen - und da sah sie, daß seine Pupillen trüb waren, trübe Fenster vor halb erloschenen Feuern.
Da riß er sein fürchterliches Maul auf, spie eine Hitzewoge, eine schwarze Rauchwolke und flackernde Flämmchen. Yngilda hätte fast laut aufgelacht. Nicht Mitleid war es, was sie empfand, nein, ein Gefühl von gleich zu gleich.
»Drache!« schrie sie.
Keine Antwort.
Also wurde sie ganz förmlich: »Bei Sankt Georg und Sankt Michael befehle ich dir, mir Antwort zu geben!« »Ich höre«, brummte er mit tiefer, müder Stimme. »Drache, deine Schuppen sind matt, deine Flammen schwach. Du bist alt geworden.«
»Du auch!« knurrte er. Es klang belustigt. »Mach dich lieber aus dem Staub, Menschlein. Bald kann ich wieder fliegen … Dann töte ich dich!«
»Ich denke ja nicht daran zu fliehen!« versetzte Yngilda scharf.
»Soll ich etwa ohne die kleinste Brandwunde ins Dorf und sagen, ich hätte aufgegeben ? Um den Rest meiner Tage als Witzfigur und verachtete Bettlerin zu verbringen? Mit der Linken kann ich mein Schwert noch führen und harte Hiebe austeilen! Aber warum sollten wir versuchen, einander umzubringen? Kannst du diese Dörfler denn nicht in Ruhe lassen? Warum machst du das überhaupt? Wenn du mich tötest und selbst überlebst, schickt man dir eben eine junge und starke Kämpferin auf den Hals!« Der Drache grollte.
»Meine Schwingen sind nicht mehr, was sie einmal waren, tragen mich aber bei gutem Wind wohl einen ganzen Tag. Ich will leben, durch die Lüfte schweifen. Die Dörfler habe ich nie angerührt. Ihre Rinder und Schafe schmecken eh besser.« Yngilda hatte begriffen.
Sie überlegte noch eine
Weitere Kostenlose Bücher