Lichtschwester - 8
Morgen.
Jetzt sah die Tier-Königin seinen sanften Blick - jenen offenen, rückhaltlosen Blick, den er einst ihr geschenkt hatte und den er jetzt genauso einfach und ehrlich einer anderen schenkte. Da war es, daß tief in ihr, tief in diesem borstigen, muskulösen, verwachsenen Leib, etwas brach und barst. Sie gab keinen Laut von sich, aber ihre Kraft, diese ungeheure Kraft des Tieres, war aus ihr gewichen … Und sie war nur noch ein in schwarze, jämmerliche Gewänder gehüllter Krüppel und sank nun, wie ein Embryo gekrümmt, schwerelos und langsam in den blendend weißen Schnee.
Als Moere mit noch von der Schlittenfahrt roten Wangen nach Hause kam, fand er seinen verzauberten Schatz, diese Blüte, die wie ein Leuchtfeuer vor seinem inneren Auge gestrahlt hatte, schwarzbraun verdorrt in ihrer Kristallvase vor. Da erinnerte er sich, daß er das ganze Fest über tief in seinem Inneren gesehen hatte, wie sie starb und verging, und daß er zu seinem Staunen mitunter auch die klaren und durchdringenden Augen der Tier-Königin erblickt hatte, und sie waren hell leuchtend wie der Tag gewesen, aber zum ersten Mal von Tränen feucht… Aber er hatte sich nicht darum geschert, hatte sich lieber von der Lust des Augenblicks wie von einer Woge forttragen lassen und diese Vision einfach verdrängt.
Nun jedoch, da eine dunkle Flut über ihm zusammenschlug, ließ er es wieder zu, daß er sah, und da geschah es, daß sich seine Sicht erneut entfaltete, entzerrte und verdoppelte, bis sie wieder wie früher war und ihm aufging, was er begangen hatte. Die Gärten ruhten weiß und still, und ein silbrigvioletter Nebel hing darüber. Der Wind hatte sich gelegt, kein Laut war zu hören, und alles lag reglos und verschwamm im Spätnachmittagsdunst.
Sein Puls raste vor Weh, sein Atem ging schwer, und die Haut riß ihm vor Kälte, als er nun wie wahnsinnig und der Zweige, die ihn im Gesicht trafen, gar nicht achtend, den vielfach gewundenen Weg entlanglief. Und als er wieder um eine Biegung kam, sah er sie - oder das, was sie sein mußte -, und da überkam ihn ein Schwindel, daß er fast ohnmächtig geworden wäre. Ein Hauch feinen Pulver-schnees überzog schon die mitleiderregende schwarze Gestalt, die da vor ihm hingestreckt lag. Und aus diesem formlosen Haufen sah er ein kleines schwarzborstiges Etwas ragen, das einer Hand ähnelte - ja, eine rheumatisch verkrümmte, knotige Hand mit langen Tierkrallen statt Fingernägeln … Seltsam, dachte er, daß mir ihre Hände, diese gespenstischen, schwarz behaarten, jämmerlichen Klauen, bisher noch nie aufgefallen sind …
Moere sank in die Knie und kniete sich neben der Tier-Königin in den Schnee. Einen Moment dachte er, sie sei tot - hörte sie dann aber, zu seiner Erleichterung, leise röcheln. Aber ihr pfeifender Atem klang wie der einer Sterbenden.
Nun sandte die Sonne ihren letzten Strahl und sank unter den Rand der Erde, und Abenddunkel fiel wie ein Tuch über den Garten.
Eine intuitive, aber unwirkliche Angst erfaßte Moere. Da legte er sein Ohr an ihre Brust und lauschte ihrem wenn auch recht leisen Herzschlag.
Merkwürdig, dachte er, ihr Gesicht ist noch immer von der Kapuze verborgen. Er fand es selbst schon unheimlich, daß sich in seiner Brust keinerlei Gefühl regte … Wieder war es, als ob ein Zauber ihn umfinge, nur daß er jetzt alles sah und hörte, aber überhaupt nichts empfand.
Nun schob er sacht die Kapuze zurück. Diesmal legte sich, wie um es zu bergen, das Abenddunkel über ihr Antlitz, so daß er diese Rauchschwärze mit suchenden Augen durchbrennen mußte, um es sehen zu können. Schweigend betrachtete er das Gesicht der Tier-Königin … das wie eine grotesk-entsetzliche Karnevalsmaske war. Aber er fühlte noch immer nichts. Da schlug die Tier-Königin jäh die Augen auf. Und sein bisher so eiskalt ruhiges Herz raste mit einemmal, als ob es ihm zerspringen wollte.
Denn ihre Augen waren so verändert: Rotglühende Vulkane starrten ihn an. Und nach einer Weile, in der ein Erkennen darin aufglomm, flüsterte sie: »Moere … Du bist also wieder da. Aber du hättest nicht um diese Stunde kommen dürfen. Es ist ja schon dunkel. Und nach Einbruch der Dunkelheit verliere ich, wie du ja siehst, den letzten Rest meines menschlichen Aussehens, immer nach Einbruch der Dunkelheit.«
Sie atmete schwer und rauh, suchte mit ihren feurigen Blicken in seinen gefrorenen, bloß aufnehmenden Augen nach einer Reaktion.
»Es tut mir leid …«, flüsterte er, »ich konnte
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