Liebe
wenn wir den geliebten Menschen zum Ziel machen, dann entnehmen wir ihm Kraft und Liebe, und das ist Raub. Somit rauben Mütter, die ihre Kinder über alles lieben, ihnen unbewusst Gesundheit und Glück.“
„Soll das heißen, es ist Sünde, einen anderen Menschen zu lieben?“
„Das kommt auf das Verhältnis von der Liebe zum Menschen und der Liebe zu Gott an. Das Universum entstand als Lostrennung und Absonderung von Gott. Und je größer die Absonderung, umso stärker muss die Liebe zu Gott, das Verlangen nach Wiedervereinigung mit ihm sein. Worin besteht der Mythos von Adam und Eva? Einerseits erzeugt die Liebe von Mann und Frau Nachkommen, andererseits ist diese Liebe gleichsam Sünde. Die Sünde dieser Liebe besteht darin, dass sie die Liebe zu Gott übersteigen kann. Wenn wir etwas in diesem Universum und allem, was existiert, zum Ziel machen, dann übersteigt unsere Liebe hierfür die Liebe zu Gott. Wenn jedes Glück, das wir erleben, und alles Existierende Mittel für die Liebe zu Gott sind, dann wird die Liebe zu Gott, wie sehr wir auch immer die Umwelt lieben, immer stärker sein, und anstelle von Zerstörung findet Entwicklung statt.“
In der Sprechstunde fragte mich einmal ein Mann: „Wenn ich versuche, zu Gott zu beten, bekomme ich im rechten Stirnbereich Kopfschmerzen, die praktisch das Denken überlagern. Können Sie mir sagen, womit das zusammenhängt?“
„In Ihrer Seele gibt es noch viel Verachtung gegenüber unvollkommenen Menschen und Vorwürfe gegen die Umwelt. Wenn man übel nimmt und verurteilt, darf man nicht vor eine Ikone treten. Ein Gebet zu Gott kommt nicht zustande, wenn Sie voller Verachtung und Kränkung sind. Beginnen Sie mit Reue.“
Er nickte, und ich erinnerte mich an einen interessanten Fall, von dem mir eine Bekannte erzählt hatte. Sie begann zu beten und wiederholte immer wieder:
„Herr, ich liebe dich mehr als alles in der Welt.“
Und jedes Mal durchbohrten sie heftige Kopfschmerzen. Das geschah zwei Monate lang. Einmal betete sie:
„Herr, ich liebe dich trotz alledem über alles auf der Welt, doch lass es nicht so wehtun.“
Die Schmerzen verschwanden und traten nie mehr auf.
Im Oktober, vor meinem Abflug nach New York, hatte ich zwei schwierige Patienten, ich habe das bereits erwähnt. Der sehr begabte und wohlerzogene Junge hatte Blutkrebs. Die Ursache war Orientierung auf Fähigkeiten und Ethik. Der zweite Patient hatte Krebs im letzten Stadium. Bei dem Versuch, gerade ihnen zu helfen, fand ich heraus, was die Orientierung auf Ethik beförderte — das Verlangen, die Liebe zu den Menschen und zur Welt zum Selbstzweck zu machen. Ich war überzeugt, dass jetzt alles gut enden würde, doch ich irrte mich. Nach meinem Abflug verschlechterte sich der Zustand des Mannes. Seine von der Pflege erschöpfte Frau rief mich täglich in New York an, doch nichts half. Er lag im Sterben, und eine Woche später war er tot. Damals stellt ich mir die Frage: Wenn er nicht auf die drei grundsätzlichen Wertesysteme auf der Erde orientiert war, warum ist er dann gestorben?
Nun gut, er konnte den Kindern sehr viel geistigen „Unrat“, den er nicht beseitigen konnte, übergeben haben. Oder er hat in diesem Leben ein Vergehen begangen, für das er sofort zahlen musste. Oder er hat mir nicht vollkommen geglaubt, die Trägheit seines Charakters war allzu groß und er konnte seine Seele nicht überzeugen, dass die Liebe zu Gott das höchste Glück im Leben ist. Vielleicht war ihm vorbestimmt, in ein bis zwei Jahren irgendwo geboren zu werden, und sein Abschied von der Erde war fest programmiert. Alles das konnte der Fall gewesen sein, doch ich spürte, dass noch etwas die Krankheit genährt hatte. Die Eifersucht hatte er nicht vollständig beseitigen können, doch dann muss man über Strukturen hinausgehen, die sich über der Zeit befinden... Diese Strukturen schaffen die Zeit als solche. Auch sie können Wertesysteme sein, auf die man sich orientieren kann, indem man sie zum Ziel und Sinn des Lebens macht. Ich hatte aber keine Vorstellung, was man tun musste, um aus Zeit, Raum und Materie hinauszugelangen. Allerdings hatte ich in letzter Zeit eine Struktur gespürt, die der Zeit gegenüberstand, und von Zeit zu Zeit waren Programme, Orientierungen auf sie bei mir aufgetaucht. Ich saß da und versuchte, diese Strukturen zu klassifizieren. Ich zeichnete einen Kreis für die irdischen Werte — die Materie. Rechts einen zweiten Kreis für die geistigen Werte — der Raum. Der
Weitere Kostenlose Bücher