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Wassermans Roboter

Wassermans Roboter

Titel: Wassermans Roboter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfgang (Hrsg.) Jeschke
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Lucius Shepard
Professor Sombras Automaten
     
    »Tut mir leid, Leute, aber ich habe schlechte Papiere!« Die Worte des Busfahrers drangen knisternd aus dem Lautsprecher. »Das Getriebe spielt verrückt. Keine Chance, daß wir damit bis Tulsa kommen. Ich fahre noch bis Nadoka und warte dort auf einen Ersatzbus. Sie können inzwischen ’ne kleine Mittagspause machen. Unangenehm, ich weiß, aber an mir liegt’s echt nicht.«
    Vielleicht hatten sie ihn erkannt, dachte Hayes. Vielleicht wollten sie ihn in diesem abgelegenen Kaff rausholen, weit weg von all den Menschen in Tulsa.
    »Das heißt, daß ich den Anschluß nach Houston verpasse!« jammerte die Frau neben ihm. Sie rutschte nervös auf ihrem Sitz nach vorn; das Paisleymuster ihres Seidenkleids kroch wie ein Schwarm bunter Pantoffeltierchen über ihre Fettwülste. Dann rückte sie ihre Perücke zurecht – eine Puppenfrisur aus braunen Ringellocken – und strahlte Hayes mit Grübchen in den Wangen an. »Kriegen Sie auch Probleme mit dem Umsteigen, junger Mann?«
    »Nein, Ma’am«, sagte Hayes.
    Er schob eine Hand in die Tasche und tastete zu seiner Beruhigung nach der Pistole. Sie schien ihm die Finger zu verbrennen … Was die Gehirnwäscher wohl dazu wieder wußten? Herrgott, warum war er nicht auf die Idee gekommen, etwas Thorazin mitgehen zu lassen? Das hätte ihn jetzt gelockert.
    Die Frau deutete auf die Weiden, die draußen vorbeiglitten. »Ich wußte gar nicht, daß Oklahoma so grün ist. Im Film sieht man immer nur diese Staubkessel und Sandstürme.« Sie schien enttäuscht, weil bis jetzt keine hohlwangigen Wanderarbeiter und keine verdorrten Getreidefelder aufgetaucht waren.
    »M-hm«, meinte Hayes.
    Angenommen, die Bullen warteten in Nakota – Nadoka? – oder wie hieß das Kaff? Raus mit dem Schießprügel, den Bus nach Brasilien entführen?
    Jawohl, genau!
    »Sie sind Musiker, was?«
    »War ich mal«, gab Hayes zu.
    »Warum haben Sie das aufgegeben? Sie kämen sicher ganz groß raus … bei dem Gesicht! Da kann sich jeder Fernseh-Star verstecken.«
    Ob die Story bis hierher in die Zeitungen vorgedrungen war? Quatsch! Aber er beschloß, ihr wenigstens einen kleinen Teil zu erzählen. Mal testen, wie sie reagierte.
    »Einer in der Band starb an einer Überdosis«, meinte er. »Genau vor der ersten großen Tournee. Als unser Sänger merkte, daß damit fünf Jahre harter Arbeit im Eimer waren, drehte er durch. Er wußte, wer den Stoff besorgt hatte, und er ging zu dem Typen hin und machte ihn kalt.«
    »Heiland!« Die Frau preßte entsetzt eine Hand auf den Mund.
    »Es war eher ein Unfall«, fuhr Hayes fort. »Verlor ein paar Sekunden lang die Nerven und schmiß mit einem schweren Aschenbecher. Schlug dem Kerl damit den Schädel ein. Danach flippte er total aus, und sie brachten ihn zu den Psychos. Das ist jetzt genau drei Jahre her. Seitdem spiele ich nicht mehr.«
    »Kann ich irgendwie verstehen.« Die Frau schüttelte bekümmert den Kopf. »Drei Jahre! Eine schrecklich lange Zeit für einen, der in der Klapsmühle sitzt … oder haben sie ihn wieder rausgelassen?«
    »Nein, Ma’am«, sagte Hayes. »Er ist immer noch drin.«
     
    »… junger Mann!«
    Musik im Dröhnen der Reifen, ein starker Background-Chor. Als Baß-Untermalung die Vibration der Fensterscheiben. Ein Gitarren-Solo im Schaltgetriebe, ein heißer Sound, der die Reflexe aufgeilte, die Sehnen anspannte und dich aus vollen Lungen losdröhnen ließ …
    »… angekommen, junger Mann!«
    Musik, verborgen wie Erz in Milliarden Geräuschen. Sie wartete nur darauf, daß einer sie entdeckte und herauslöste, sie in Saiten, Chips und Kristalle eingab, sie durch die Fingerspitzen von Marionetten-Spielern zu Leben erweckte …
    »Nadoka!«
    Hayes richtete sich kerzengerade auf. Sein Herz raste. Er schob die Hand in die Tasche, fühlte erleichtert das Schießeisen.
    »Ich dachte schon, Sie würden durchschlafen«, meinte die Frau.
    Draußen ein niedriger Bau aus Glas und Beton, davor Landwirtschaftsmaschinen. Riesendinger mit Zähnen, alle grün oder feuerrot, wie eine Gruppe futuristischer Fossilien. Reihen ordentlicher Häuser mit Blechschuppen und Pickups in der Auffahrt, dazwischen Akazien und Pappeln. Die Hälfte der Vorgärten mit Makler-Schildern verunziert. Bank. Tankstelle. Typisches Provinznest. Durch das Geäst einer Pappel entdeckte er das Schild, einen hageren blauen Hund, der über ein weißes Feld sprintete.
    »Schlecht geträumt, was?« erkundigte sich die Frau. »Jedenfalls

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