Liebe 2.0
behauptet und lässt sich
nicht so leicht aus der Ruhe bringen. Außerdem hat er diesen abgefahrenen Blick
drauf, der mich total kirre macht. Ich weiß nicht genau, wie ich es beschreiben
soll. Aber wenn es von manchen Männern heißt, dass sie einen mit Blicken
ausziehen, so hat Max die Nummer so perfektioniert, dass man vor seinen
eisbonbonblauen Augen am liebsten selbst zur Exhibitionistin werden will.
Willkommen im Zeitalter der Emanzipation!
Während Nathalie
hörbar die Luft einsaugt und Manuel verlegen mit dem Sendeprotokoll raschelt,
grinse ich in mich hinein – weniger aufgrund meiner verdorbenen Phantasien als
vor allem wegen Max’ Aufmüpfigkeit. Denn mal ehrlich: Was denken Nathalie und
Manuel sich auch für einen Mist aus? Eine Schnapsidee, früh um sechs jemanden
gutgelaunt ans Telefon bekommen zu wollen! Wo selbst unser Moderatorenduo zu
fünfzig Prozent aus Morgenmuffeln besteht und es wirklich besser wissen sollte!
Ähnlich scheint
auch Thomas zu denken, denn er zeigt weder Lust, Nathalies Vorwürfe zu
unterstützen, noch Energie, Max’ Putschversuch zu kritisieren. „Gut, gut“, sagt
er stattdessen, den Blick noch immer voller Konzentration gesenkt. Für ihn
scheint die Sache erledigt. Viva la revoluçion! Wenn doch alles im Leben
so einfach wäre…
Schließlich
lässt Thomas aber doch die Käsekästchen Käsekästchen sein, hebt ruckartig den
Kopf und blickt über seine Lesebrille hinweg erwartungsvoll in die Runde. „Irgendjemand
noch Anmerkungen?“
Bevor Nathalie
erneut das Wort ergreifen kann, geht plötzlich hinter mir die Tür auf, und Sven
kommt hereingerauscht. Sein aufgedrehtes „Morgen alle miteinander!“ versprüht
eine fast Ekel erregende Fröhlichkeit, und ich fühle mich regelrecht
beschmutzt. Pantomimisch wische ich mir den Schleim vom Latz, während Sven in
gebührendem Abstand von uns allen seinen Platz einnimmt. Unser Herr Wirth
bevorzugt stets das andere Ende des Tisches, was daran liegen mag, dass dort a)
mehr Platz für sein Ego ist und er b) heute so den besten Blick auf unseren
unbekannten blonden Zuwachs hat. Und als hätte die Redaktionssitzung nicht
längst begonnen und wären wir (zumindest theoretisch!) in einer Debatte über
die Qualität der letzten Livesendung, reißt Sven sofort das Kommando an sich.
„Also, Leute,
keine Sorge, das Herbstloch ist gestopft, ich habe eine Menge neuer Ideen von
meiner Fortbildung mitgebracht!“ Triumphierend blickt er in die Runde, während
wir anderen uns bemühen, möglichst beeindruckt zu gucken. Huhu, das F-Wort!
Sven, der Vollprofi. Sven, die Zukunftsinvestition des Senders. Ich habe keine
Ahnung, wen er damit beeindrucken will! Oder vielleicht doch? Schräg gegenüber
von mir blicken immerhin zwei blaugraue Blondinenaugen aufmerksam zu Mister
Mittelwelle. Und eben nicht zuletzt für dieses fremde Augenpaar startet Sven
jetzt seine berüchtigte One-Man-Show und präsentiert in einer Mischung aus
Professionalität und Comedy die ihm vorschwebenden Aktionen.
„Wie wäre es,
wenn wir demnächst mal wieder eine Radio-Party organisieren? So eine von diesen
Ü-20-, Ü-30-Dingern. Nach dem Motto: ‚Feiern wie früher’!“
„Feiern wie
früher?“, zischt Astrid mir zu. „Was soll das denn jetzt heißen? Auf einer
Garagenparty warmes Dosenbier trinken und zusehen, wie der eigene Freund zu DJ
Bobos Love is all around fremdknutscht? Nee, danke!“
Ich muss leise
lachen und steige sofort darauf ein. „Na klar! Und dann schließen wir uns alle
gemeinsam auf der Toilette ein und heulen ’ne Runde!“
Wie auf Kommando
gackern wir los.
„Ruhe da vorne,
die Damen! Mademoiselle Duvall! Fräulein Wagner! Bitte!“ Thomas wird sich
seiner Pflichten als Aufpasser langsam bewusst, und auch Sven blickt etwas
irritiert, denn schließlich ist er doch für die Witze zuständig. Während ich
mich noch über die „Fräulein“-Titulierung ärgere (fällt so etwas nicht
mittlerweile unter das Diskriminierungsgesetz?), versucht er, schnellstmöglich
wieder Anschluss zu finden.
„Oder wir machen
das Ganze nach Jahrzehnten geordnet: 70er-, 80er-, 90er-Partys. Auch immer gern
genommen. – Hat eigentlich einer Ahnung, wie die letzten zehn Jahre jetzt
offiziell heißen? Die Nullnuller?“
Ich verdrehe
stumm die Augen. Es ist doch wohl offensichtlich, wer hier die Doppelnull ist: Double-O-S(e)ven – Nerv an einem anderen Tag. Aber die Neue fängt tatsächlich an zu
kichern. Es ist doch immer dasselbe!
Ich weiß
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