Liebe 2.0
ist, funkele ich Max einfach nur an,
stürze verächtlich den Rest meines kalten Kaffees hinunter und mache mich
umgehend auf den Weg. Jetzt mit dem Nachwuchs-Casanova in einem schalldichten
Raum zu verschwinden, halte ich für keine gute Idee. Stattdessen packe ich
meine Siebensachen mit Schreibblock, Aufnahmegerät und Stadtplan und laufe zum
Redaktionsauto. Soll er doch sehen, wer seinen Einspieler beklatscht. Ich. Sicher.
Nicht!
Auf der Fahrt in die Innenstadt
grüble ich über mein verqueres Verhältnis zu Max. Wie lange geht das jetzt schon
so zwischen uns? Zwei Wochen? Ja, genau, fast zwei Wochen. Vor zwei Wochen
hatte Max seinen ersten Auftritt in der Redaktionsrunde. Ich kam gerade
abgekämpft aus einem Wochenende an der Familiengeburtstagsfeierfront und hatte
wie so oft bereits am Montag die Schnauze gestrichen voll. Und da saß er dann,
Graf Rotz, und blickte frech in die Runde. Als er schließlich bei mir anlangte,
flackerte es in seinen Augen kurz auf, was ich jedoch als Einbildung abgetan
hätte, wenn nicht die nachfolgenden Tage voll von eben solchen Augenblicken
voller Augenblicke gewesen wären… Nano-Mini-Momente, in denen sekundenschnell
die widersprüchlichsten Empfindungen über mich hereinbrechen: Glück,
Verwirrung, Neugier, Erregung, Scham, Entschlossenheit – das reinste Chaos und
besser als jeder Trip. Ich kann nicht sagen, ob ich etwas derartiges schon
einmal erlebt habe. Und wenn, dann ist es verdammt lange her.
Wohin das führen
soll? Keine Ahnung! Was das überhaupt ist? No idea! Muss sich
denn im Leben immer alles erklären lassen? Muss man jedes Gefühl im Wörterbuch
nachschlagen und definieren? Hilft es tatsächlich, immer einen Plan zu haben?
Wenn ich etwas aus den letzten Monaten gelernt habe, dann das, dass jedes Ziel,
egal wie klar du es vor Augen hast, sich ruckzuck als Fata Morgana entpuppen
kann. Reingefallen! Gehe zurück auf Los! Da ist es doch nur konsequent,
dem Leben einfach mal seinen Lauf zu lassen, ohne dauernd in die Straßenkarte
zu schauen, an deren eingezeichnete Route es sich ja doch nicht hält…
Ups! Stichwort
Navigation: Fast hätte ich die Einfahrt verpasst. Ich bremse scharf ab, setze
noch kurz den Blinker und biege dann auch schon auf den Parkplatz der
Geschwister Scholl-Schule ein. Die Pflicht ruft!
Drei
Etwas
schüchtern betrete ich die Schule durch den Haupteingang. Da der Pressetermin
für das Wasserschlösschen erst auf 13 Uhr angesetzt ist, habe ich vorher noch
genug Zeit, um ein paar Stimmen für den Veranstaltungskalender am Wochenende zu
sammeln. Gesangsstimmen, um genau zu sein. Denn mein Beitrag wirbt für ein
Casting, das in einer Woche im Hilton abgehalten werden soll und von
diesem und jenem Produzenten geleitet wird – angeblich Berühmtheiten der
Branche, aber ich habe noch nie von ihnen gehört. Vielleicht ein Geheimtipp?
Das würde auch erklären, warum sie hier bei uns gastieren, statt in den richtigen
Metropolen. Bauer sucht Popstar , oder so ähnlich… Um das Ganze vollends
ad absurdum zu treiben, habe ich mir überlegt, schon mal ein bisschen
vorzucasten und ein paar Einspieler mit Gesangstalenten abzugreifen. Und genau
dafür bin ich hier: am sprudelnden Quell der künftigen Pop-Elite. Hoffentlich
werde ich fündig!
Da ich die Geschwister Scholl-Schule
bisher nur von außen kenne, bin ich etwas orientierungslos. Ich suche den
Aufenthaltsraum der Oberstufenschüler, denn erstens repräsentieren sie das
Zielpublikum und sind zweitens durch ihre Freistunden hoffentlich gelangweilt
genug, sich auf mich einzulassen. Außerdem habe ich drittens keine Lust, auf
die große Pause zu warten, die viertens mit ihren ganzen Hintergrundgeräuschen
für Tonaufnahmen gänzlich ungeeignet wäre. Klarer Fall also.
Während ich
ziellos durch die hallenden Gänge marschiere, betrachte ich die verschiedenen
Schaukästen mit verkrüppelten Pappmaché-Tieren der 6c, einem „Jugend forscht“-Projekt,
dessen Aufbau ich auch nach zehn Minuten konzentrierten Hinsehens noch nicht
kapiere, obwohl ich doppelt so alt bin wie sein Erbauer (Hannes B. aus der 8a),
sowie die Trophäensammlung der Leichtathletik-Asse der letzten dreißig Jahre.
Am Ende der Vitrinenreihe bin ich unendlich froh, dass ich meine eigene
Schulzeit trotz diverser Frustrationen im künstlerischen, wissenschaftlichen
und sportlichen Bereich relativ unbeschadet hinter mich gebracht habe, und will
mir gerade einen imaginären Blumenstrauß für mein bestandenes
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