Liebe auf den letzten Blick
Hinterkopf, es ist nur eine Illusion. Es ist Ottos Abschiedsfeier und definitiv nicht
dein
Liebesfilm. Fred wird dich kreuzunglücklich machen, wenn du dich auch nur eine einzige Nacht auf ihneinlässt. Ich beschließe, auf die Stimme zu hören, senke den Blick und will meine Handtasche vom Tresen nehmen, um mich davonzustehlen.
Aber Fred packt mich an beiden Armen, zieht mich an sich und küsst mich, ehe ich mich wehren kann.
Nicht, dass ich mich wehren wollte. Ich bin alt, aber nicht blöd. Es könnte schließlich der letzte Kuss meines Lebens sein. Der so wunderschön ist, dass ich noch auf dem Sterbebett davon träumen werde.
Doch dann siegt die Vernunft. Energisch befreie ich mich aus seiner Umarmung und gehe einen Schritt zurück auf Abstand.
»Warum?«, frage ich.
»Warum ich mich in dich verliebt habe?« Fred sieht mich eindringlich an. »Warum sind wir uns begegnet? Warum kann ich nicht aufhören, an dich zu denken? Warum bist du die Frau, mit der ich glücklich werden möchte? Im Moment weiß ich es nicht, aber ich werde es herausfinden, wenn du mir, UNS eine Chance gibst.«
Allein der Gedanke an ein UNS raubt mir den Verstand. Ich kann einfach nicht glauben, dass Fred es tatsächlich ernst meint.
»Angenommen … ich ließe mich darauf ein«, entgegne ich mit klopfendem Herzen und zögere weiterzusprechen. »Würdest du Sophie verlassen?«
»Sophie verlassen?«, wiederholt er ungläubig. »Du glaubst immer noch, ich hätte ein Verhältnis mit ihr?«
Etwas in seiner Stimme verunsichert mich. »Das liegt ja wohl nahe, oder? Ich meine, ihr seid ständig zusammen, sie braucht dich nur anzurufen und du springst.«
Fred nimmt einen Schluck Champagner. »Wir sind Kollegen, unterrichten dasselbe Fach und verstehen uns eben gut.Außerdem bin ich das, was Sophie einen Frauen-Mann nennt. Hätte ich die Wahl zwischen Fußball mit Kumpels und Kaffeeklatsch mit Frauen, wähle ich sofort den Kaffee, auch wegen des Klatschs.«
»Außerdem kümmerst du dich immer so unglaublich liebevoll um Luis, als wärst du …«
»Ja?«
»Na ja … sein Vater!«, antworte ich.
Fred fasst mich an den Schultern und hält mich fest, als wolle er mich wachrütteln. »Luis ist mein Patenkind!«
Noch nie im Leben war ich so verblüfft. »Aber … aber«, stottere ich. »Warum hast du nichts davon gesagt?«
»Ich habe angenommen, du wüsstest es von Sophie«, entgegnet er und lacht herzhaft auf. »Entschuldige, Mathilde, ich lache nicht über dich. Es ist nur irgendwie total albern. Ein Missverständnis, wie es kein Drehbuchautor schöner erfinden könnte.«
Übermütig falle ich ihm um den Hals. Aus dem Kinosaal dringen Begeisterungsstürme. Ich weiß, sie gelten Milius’ dramatischem Lobgesang auf Otto. Doch für den glücklichsten Moment meines Alters könnte es keine passendere Geräuschkulisse geben.
Fred liebt mich!
Vielleicht gibt es ja doch ein Chance auf Weltfrieden.
25
Gegen Mittag ist die Show vorbei. Wie bei jeder Premiere gibt es anschließend Schampus und Fingerfood an Smalltalk. Sophie erklärt mir, dass sie in den letzten Wochen wegen Torsten so durcheinander war und einfach vergessen hat, mir von Freds Patenschaft zu erzählen. Gemeinsam beobachten wir die Trauergäste, wie sie im Foyer herumschlendern, teure Brause schlürfen, Häppchen knabbern und Erlebnisse austauschen. Einige junge Schauspielerinnen nutzen die Gelegenheit, um auf ihren Highheels durch die Menge und vor den Augen der anwesenden Produzenten und Regisseure auf und ab zu stolzieren.
Nachdem sich auch der schwule Gerry von Irma verabschiedet hat, schlage ich vor: »Du begleitest uns in die Nachtigalstraße und erholst dich von dem ganzen Trubel. Danach überlegen wir, wie es weitergeht.«
Irma starrt mit hängenden Schultern ins Leere, als sei ihr alles egal. »Nichts würde ich lieber tun, als mir eine Decke über den Kopf zu ziehen und erst mit siebzig wieder aufzuwachen.« Sie stöhnt auf. »Aber Dr. Rossberg erwartet mich. Vermutlich, um mir mitzuteilen, wann ich Ottos Haus räumen muss. Schlimmstenfalls verlangt er den Schlüssel sofort.«
Amelie schickt einen giftigen Blick in Richtung Ausgang, durch den der Anwalt vor wenigen Minuten entschwunden ist. »Er hat dich direkt nach der Trauerfeier einbestellt?«, schimpft sie. »Gefühlloser Paragraphenreiter. Ich werde ihm klarmachen, dass er sich gefälligst noch ein, zwei Tage gedulden muss.«
»Ja, das Leben ist ungerecht«, erwidert Gustl und hält Amelie zurück, als sie
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