Liebe auf den zweiten Blick
nicht um. Er traute sich nicht. Dazu grinste er viel zu breit. Er brachte es fertig zu nicken, so als würde er über ihre Bemerkung nachdenken. Dann öffnete er die Tür.
„Das ist gut”, sagte er ruhig. „Vielleicht habe ich ja irgendwann den Mut, eine neue Abfuhr zu riskieren. Dann melde ich mich. Ich wünsche Ihnen einen schönen Tag, Amelia.”
Er drehte das Schild wieder um, ging hinaus und achtete darauf, die Tür nicht zuknallen zu lassen. Dann fuhr er mit Höchstgeschwindigkeit aus Tulip hinaus. Erst als er einige Meilen außerhalb der Stadt war, hielt er an, stieg aus und lachte. Je mehr er darüber nachdachte, umso komischer wurde es. Er wusste nicht, warum und auch nicht, wie, aber er war entschlossen, diese Frau zu heiraten, selbst wenn ihn das umbringen sollte. Der Gedanke war so ungeheuerlich, dass er laut zu lachen begann und sich an die Seite des Wagens lehnen musste, um wieder zu Atem zu kommen.
6. KAPITEL
Amelia rannte, aber diesmal nicht durch die Gasse. Von den Betrügereien hatte sie genug.
Sie trug einen Jogginganzug und Tennisschuhe, und ihr Gesichtsausdruck verriet
Entschlossenheit. So näherte sie sich der Ecke, an der Raelene Stringer wartete.
Effie Dettenberg stand am Fenster und blickte durch einen Spalt in der Spitzengardine. Zu ihrem Erstaunen winkte Amelia ihr zu, als sie vorbeijoggte. Effie ließ die Gardine sinken, verärgert darüber, dass sie beim Spionieren erwischt worden war.
Dann ging sie mit ihrem neuen Fernglas zum oberen Fenster. Jetzt würde sie gleich sehen, was Amelia Beauchamp vorhatte. Ganz gewiss war es nichts Gutes.
Maurice strich Effie um die Beine. „Verschwinde”, sagte sie und verzog das Gesicht, als er sie anfauchte.
Amelias Herz schlug heftig. Sie fühlte sich, als wäre sie schon eine Meile gerannt. Aber sie war nicht erschöpft, sondern aufgeregt. Sie hatte eine schon lange überfällige Entscheidung getroffen.
„Du kommst früh”, stellte Raelene fest.
„Ich komme nicht mit”, erklärte Amelia. „Sag dem Boss, ich kündige oder ich bin umgezogen oder gestorben. Ganz egal. Ich kann einfach nicht wieder dort hin. Okay?”
Raelene stieg aus ihrem Wagen und grinste. „Das hatte ich schon erwartet. Hat jemand etwas gemerkt?”
Amelia zuckte mit den Schultern. „Ich glaube nicht, aber ich denke, es ist besser aufzuhören, bevor die Bombe platzt.”
„Für mich ist das okay. Das solltest du inzwischen wissen Amelia umarmte Raelene, ohne sich Gedanken darüber zu machen, dass jeder, der vorbeifuhr, sie sehen konnte.
„Ich kann dir gar nicht genug danken.” Amelias Stimme war zittrig. „Und ich werde es vermissen, mit dir zur Arbeit zu fahren, selbst wenn ich den Job nicht vermisse. Du warst mir eine wahre Freundin.”
„Ach, Schatz.” Raelene schniefte. „Ich werde dich auch vermissen. Aber jetzt solltest du besser zurückgehen, bevor dich zu Hause jemand vermisst.”
„Meine Tanten schlafen schon. Aber du hast Recht. Es ist fast dunkel, und du weißt ja, was man sagt. Eine Dame ist in der Dunkelheit nicht sicher.”
Sie sahen sich an und fingen an zu lachen, weil sie sich daran erinnerten, wie viele Stunden sie zusammen im Dunkeln verbracht hatten.
„Na ja, jetzt sollte ich mich beeilen. Sonst komme ich zu spät”, meinte Raelene schließlich und stieg wieder ein.
Amelia winkte ihr nach, während der Wagen ächzend und stöhnend aus Tulip herausfuhr.
Dann ging sie zurück. Ausnahmsweise würde sie einmal vor zwei Uhr nachts ins Bett
kommen. Mit der Geheimnistuerei war es vorbei, aber es machte ihr zu schaffen, dass sie Tyler verloren hatte.
Schon der Gedanke an ihn brachte sie zum Weinen. Sie sah ihn vor sich, wie er ins „Old South” kam, nach Amber Ausschau hielt und wieder ging, ohne eine Ahnung zu haben, wie er sie finden sollte. Amelia sehnte sich von ganzem Herzen nach ihm, aber er wollte ja Amber. Und die existierte nun nicht mehr.
Ja, er hatte mit Amelia geflirtet, aber das hatte er vermutlich nur getan, um sich zu beweisen, dass er noch begehrenswert war, nachdem Amber ihn abgewiesen hatte. Amelia seufzte.
Was empfand er jetzt wohl, nachdem auch die altjüngferliche Bibliothekarin von Tulip seinem Charme nicht erlegen war?
Sie trat gegen einen Stein auf dem Bürgersteig und schniefte. Tyler fühlte sich sicher nicht mal halb so miserabel wie sie selbst. Das Einzige, was für sie bei diesem ganzen Schlamassel herausgekommen war, war das Geld für ihr Auto. Aber der Gedanke daran war nicht mehr annähernd so
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