Liebe auf eigene Gefahr Roman
als hätte ich gerade die Swatch-Uhr infrage gestellt. »Jeder.« Sie nimmt ihren Haarreif raus, schüttelt sich das dunkelblonde Haar aus, schiebt den Haarreif wieder nach hinten und dann nach vorne, sodass ein perfektes Haargewölbe entsteht.
»Das stimmt, so sind die Regeln«, bestätigt Laura von meiner anderen Seite aus, wo sie an der Turnhallentribüne lehnt. Laura und ich haben einen Pakt geschlossen, der besagt, dass wir sofort bei jeder Sportart ausscheiden, die uns auferlegt wird. Kein großes Kunststück bei Völkerball.
»Fandest du an deiner alten Schule niemanden toll?«, fragt
Jeanine und beugt sich an Kristi vorbei, woraufhin Laura die Augen verdreht. »Was? Darf ich etwa nicht mit ihr reden?«
»Als ob mich das interessieren würde.« Laura streicht ihre neuen Ponyfransen glatt, die ihr eigentlich ein glamouröseres Aussehen verleihen sollten, ihr bislang aber nur lästig zu sein scheinen.
»Also?«, beharrt Kristi, während sich ihr herzförmiges Gesicht genervt verzieht.
»Doch, klar.« Ich versuche, unbekümmert mit den Schultern zu zucken. »Aber wisst ihr, ich habe noch nicht so viele von den Jungs hier kennengelernt, deshalb … auf wen stehst du denn?«
»Auf Benjy Conchlin«, lässt mich Jennifer-eins wissen, während sie an ihren vielen Gummiarmbändern zupft. »Und Jeanine steht auf Jason Mosley.«
»Sein Bruder ist gerade nach New York gezogen. Um Tänzer zu werden«, flüstert Kristi und hält sich die gespreizten, manikürten Finger an die Mundwinkel.
»Es geht ihm gar nicht gut deswegen«, bestätigt Jeanine. »Ich habe ihm eine Nachricht geschrieben, und er hat geantwortet. Wir schreiben uns gegenseitig.« Sie sagt das so, als würden sie sich eine Zahnbürste teilen.
Jennifer-eins fährt fort: »Jennifer-zwei steht auf Todd Rawley, Michelle Walker auf Craig Shapiro …« Sie geht die ganze Reihe der Mädchen durch, die entlang der Tribüne miteinander quatschen, während die Bälle laut von den Wänden prallen und gelegentlich auch von den Bäuchen und Unterleibern der Jungen, die sich bemühen, im Spiel zu bleiben.
Ich werfe einen prüfenden Blick auf die Uhr, die hinter Gitterstäben über der Anzeigetafel angebracht ist, um zu sehen, ob ich hier herauskomme, ohne einen Namen genannt zu haben, und mir über Thanksgiving ein wenig Zeit zur Recherche erkaufen kann.
»Also, wer ist es?« Jeanine lehnt sich herüber, und ich kann
die Tacos vom Mittagessen riechen. »Komm schon, flüster’s mir zu.«
Ich scanne die Anwärter – die Überlebenden, die sich gegenseitig wie Gladiatoren fixieren und mit Gummibällen beschießen, und die Bezwungenen und Verwundeten, die ihre Egos hätscheln.
»Also, auf irgendjemanden musst du stehen«, drängt Laura. Wirklich?, denke ich und wäge weiter meine Optionen ab.
»Irgendjemand«, wiederholt eine der Jennifers.
»Michael J. Fox?«
»Jemand aus der SCHULE!«, rufen alle im Chor.
»Wenn er auf dem Titel von Tiger Beat war, zählt er nicht«, schimpft Kristi, deren Haarreif verrutscht, was eine Wiederholung des Rituals erforderlich macht.
»Okay, okay.«
Sie fährt sich mit den Fingern ins Haar und hebt es ein paar Zentimeter an, wobei ihr ein neuer Gedanke kommt. »Du bist doch keine Lesbe, oder? Wie man hört, gibt’s davon eine Menge in Burlington.«
Wäre es nach meinen Eltern gegangen, hätte ich ihr an diesem Punkt eine Standpauke darüber halten müssen, was für eine schreckliche Person sie doch ist. Vielleicht nächstes Jahr, aufgeschoben ist nicht aufgehoben. Nur sie und ich. Ein ausführlicher Vortrag über schreckliche Personen. Ich werde einen Diaprojektor mitbringen.
» Also? «
Mein Blick fällt auf einen mageren Kerl mit schlaff herunterhängenden Haaren, der geistesabwesend einen Ball an die Brust drückt. Er wippt mit dem Kopf und scheint zu … pfeifen.
»Der da«, sage ich und nicke in seine Richtung. »Der mit den, äh …« Ich blinzle. »Mit den Palmen auf den Boxershorts.«
»Jake Sharpe?« Wer?
»Ja, okay, äh, Jake Sharpe. Auf den steh ich.«
Beifällig tätschelt mir Laura den Arm.
»Also auf den stand vorher noch niemand«, spöttelt Jeanine.
»Das Spiel ist vorbei!« Der Lehrer schmeißt seine fleischigen Hände in Richtung Umkleidekabinen, aber der pfeifende Jake Sharpe befindet sich anscheinend in seiner ganz eigenen Welt und hört ihn nicht.
»Na ja« – ich stehe auf und klopfe mir mit den anderen Mädchen den Turnhallendreck von den Shorts -, »auf den stehe ich jedenfalls.«
DRITTES
Weitere Kostenlose Bücher