Liebe Dich Selbst Und Es Ist Egal, Wen Du Heiratest
immer größere Hilflosigkeit, gepaart mit einem unbändigen Zorn hoch. Mein Mann und die Gäste trudelten ein. Hier ein Hallo, da ein Küsschen: »Lange nicht gesehen ...« Ich versuchte zu funktionieren, wie ich es so oft getan hatte, aber es ging nicht. Ich musste mich in die Küche zurückzuziehen, um nicht länger dem ausbrechenden Vulkan in meinem Inneren ausgesetzt zu sein, während da draußen die freundliche Gastgeberin von mir gefordert war. Irgendwann kam eine Freundin in die Küche und sagte: »He, was ist denn los mit dir?
« Es war, als ob sie ein Loch in einen Staudamm gebohrt hätte. Ich brach in Tränen aus und schluchzte laut Worte, von denen ich nicht mal wusste, dass ich sie dachte: »Ich muss mich scheiden lassen, ich muss mich scheiden lassen. So kann es nicht mehr weitergehen-«
Dieser Geburtstag ist allen in Erinnerung geblieben. Manche Gäste haben danach den Kontakt zu uns abgebrochen.
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Andere lachen heute noch mit uns. Mein Ausbruch in der Küche, mein Rückzug ins Schlafzimmer, die Gedanken an Scheidung alles hatte sich in Windeseile wie eine dunkle Wolke über das ganze Fest ausgebreitet. Mein Mann konnte sich an diesem Abend vor der Überschwemmung von außen nur noch mit einer heftigen Überschwemmung von innen retten. Doch als er am nächsten Tag wieder nüchtern war und unsere Gäste abgereist waren, war nichts mehr in unserer Ehe wie davor.
Ich sprach all die Dinge aus, die zu sagen und zu fragen ich mich schon lange nicht getraut hatte. Ich erfuhr, dass er eine andere hatte.
Er erfuhr, dass ich schon lange nicht mehr bei ihm sein wollte. Wir waren beide leer und resigniert, hatten gleichzeitig aber Angst, die Konsequenzen zu ziehen. Ich hatte alles unzählige Male in meinem Kopf hin und her gewälzt, hatte tausend Erklärungen, warum es so nicht mehr ging. Aber ich war ohne jede Hoffnung, dass etwas anderes mir wirklich helfen könnte.
Wenn wir loslassen, kommt die Heilung zu uns Es gab immer ein Entweder-oder. Entweder blieb ich und würde langsam verkümmern wie eine Pflanze ohne Wasser -oder ich würde gehen und die Familie zerstören, meinen einstigen Traum davon aufgeben, etwas mit meinem Mann zu versuchen, was mir noch mit niemandem je gelungen war. Ich hatte das Gefühl, langsam zu zerreißen - bis ich schließlich der eigenen inneren Anspannung nicht mehr standhalten konnte.
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Ich war gezwungen loszulassen - ich konnte nicht mehr analysieren, nicht mehr beschuldigen, nicht mehr verstehen und nicht mehr rationalisieren. Ich saß vor meinem Mann, und aus mir floss alles heraus - alle Gefühle, alle Ängste, alle Heimlichkeiten, alle Sehnsüchte und mein trauriges Verlangen nach Trennung. Ich redete und redete, bis dieser Strom von selbst verebbte - dann auf einmal konnte ich ihn wieder mit klaren, tränenentleerten Augen ansehen, und etwas völlig Absurdes geschah: Ich fühlte mich mit mir verbunden, und ich fühlte mich meinem Mann zum ersten Mal seit Ewigkeiten wieder verbunden. Es herrschte eine tiefe Stille zwischen uns, und ein seltsames, leises Gefühl von Wahrhaftigkeit und Zusammengehörigkeit stellte sich ein. Ein Gefühl, das wir seit Jahren nicht mehr gehabt hatten -ein leises Gefühl von »Es könnte gehen, vielleicht könnte es doch gehen...«
Was mussten wir für einen Albtraum erleben, damit sich dieses Gefühl wieder zeigen konnte! Aber keiner von uns beiden hatte sich vorher freiwillig bewegt. Erst musste sich eine so ungeheuerliche Druckwelle aufbauen. Erst mussten wir über Trennung reden. Erst dann sind wir meist wirklich bereit, unsere Seele wieder zu hören. Wenn Menschen zu mir kommen, die sich gerade auf dem Höhepunkt ihrer persönlichen Krise befinden, fallen nicht selten die Worte: »Ich kann nicht mehr.
Ich sehe keinen Ausweg mehr. Manchmal möchte ich einfach nur sterben.« Sie empfinden die Sackgasse in ihrem Leben als ausweglose Katastrophe. Für ihre Seele dagegen ist der Zusammenbruch, in den solch eine existenzielle Krise häufig mündet, eine Erleichterung - eine radika264
le Befreiung unseres wahren Selbst aus dem engen Gefängnis unserer Ansprüche und Vorstellungen. Endlich ist wieder Raum für die Wahrheit und den Fluss unserer Gefühle.
Auch wenn uns in unserer Gesellschaft etwas anderes vermittelt wird-unser Körper und unser Geist sind nur Diener der Seele. Durch sie mochte sich unsere Seele ausdrücken, hier kann sie unser wahres Selbst zeigen. Auch wenn ihre sanfte Stimme leicht überhörbar ist - unsere Seele
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