Liebe die bleibt
Aber leider bin ich nicht im Märchen. Da, wo alles im Bösen beginnt und im Guten endet. Bei mir ist alles anders herum. Da wird das Märchen rückwärts erzählt – alles Gute wendet sich zum Bösen. Ein Horrormärchen eben, sinniere ich trübselig vor mich hin, während ich beginne, die goldblonden Haare des Teufels abzuschneiden. Ich setze die Schere knapp über der Kopfhaut an. Eine Strähne nach der anderen landet in der Plastiktüte. Als ich fertig bin, begutachte ich mein Werk. Mehr geringschätzig als zufrieden. Ich bin kein Profi, deswegen sind beim Abschneiden viele Stufen entstanden. Das sieht nicht schön aus, aber einen schönen Teufel kann ja bekanntlich nichts entstellen. Ich lege die Schere beiseite und versuche, Augustin auf den Rücken zu drehen. Ein Stellungswechsel der problemlos vonstatten geht. Prima. Ich ziehe einen schwarzen Edding aus dem Zubehörfach und setze mein Attentat fort. Ich gebe mir sehr viel Mühe beim Schreiben. Achte darauf, dass die Buchstaben gleichmäßig groß sind. Ich bin sehr zufrieden und bleibe noch ein Weilchen auf der Bettkante sitzen und betrachte das Ergebnis meiner Mühe.
MISTKERL steht nun auf seiner Stirn geschrieben. Alles in schwarzen dicken Großbuchstaben. Ich finde, dass auch dieser Anblick für die Nachwelt festgehalten werde sollte. Noch einmal zücke ich meine Kamera. In diesem Augenblick komme ich mir vor wie ein weiblicher Satan, der Brennstoff für das Fegefeuer braucht. Die Kamera blitzt auf und ich zucke zusammen, weil sich die Braut bewegt. Wie erstarrt bleibe ich sitzen, warte, hoffe, dass sie weiterschläft. Sie wälzt sich unruhig hin und her und murmelt ein paar unverständliche Laute. Ich kann nicht verstehen, was sie sagt, nur sehen, dass sie an ihrem Daumen lutscht und weiterträumt. Erleichtert atme ich aus, gönne mir noch einen großen Schluck Wein auf den Schreck und widerstehe dem Impuls, Augustin noch einmal auf den Mund zu küssen. Stattdessen springe ich abrupt auf, als hätte eine magische Stimme nach mir gerufen.
3 . Kapitel
In zügigen Schritten verlasse ich das Haus und noch während ich die Treppe hinabsteige, rufe ich per Handy ein Taxi.
Es hat angefangen zu regnen. Schützend stelle ich mich unter einen der Bäume, die so ehrwürdig sind wie das Haus aussieht. Ich kann aber nicht ruhig stehen bleiben, ich brauche Bewegungsfreiheit, bin innerlich aufgewühlt und wieder den Tränen nahe. Also laufe ich auf der Kiesfläche der Auffahrt hin und her, als würde ich Mahnwache schieben.
„Hawaii … Er fliegt mit ihr nach Hawaii, wahrscheinlich auf die gleiche Insel… unsere Insel!“ Mein Fluchen wird vom Knirschen unter meinen Absätzen verschluckt.
Ich fühle , wie mein Herz randaliert, die Verbitterung von mir Besitz ergreift, ich breite meine Arme aus, schließe die Augen, stelle mich in den Regen, als könne ich diese negativen Energien abwaschen. Mich reinwaschen, von diesem Mann, der mich ausrangiert hat wie ein wurmstichiges Möbelstück. Das macht mich wütend und zufrieden zugleich, weil es meine Einsicht festigt, in Zukunft nicht mehr im Guten an ihn zu denken. Ich bete inständig, dass sich diese Erkenntnis in den nächsten Tagen, Wochen, Monaten, vielleicht sogar Jahren, nicht verflüchtigt. Ich riskiere noch einen letzen Blick auf das Haus. Im oberen Stockwerk brennt Licht. Ich kann einen Schatten am Fenster erkennen. Augustin? Nein, der Schatten wirkt klein, vielleicht wirft ihn kein Mensch, sondern so ein Reiche-Leute-Hausgeist, extra eingeflogen aus einem schottischen Schloss. Ich trete ein paar Schritte zurück, um aus seiner Sicht zu verschwinden. In der Ferne sehe ich die Scheinwerfer eines Autos leuchten. Das Taxi. Ich winke dem Fahrer zu.
„Wohin soll die Reise denn gehen?“, fragt mich der Taxifahrer.
„Ins Ungewisse!“, sage ich bekümmert.
Der Fahrer stutzt für einen Moment, mustert mich prüfend, als wäre ihm meine Gemütsverfassung nicht ganz fremd. Ich kann seine dunklen Augen erkennen, seinen dunklen Teint. Er lehnt seinen Arm auf den Fahrersitz und lächelt mich mitfühlend an. Es ist ein angenehmes Lächeln, eines von der Sorte, das einem die Wahl lässt, seine Miene nicht spiegeln zu müssen. Also weiche ich seinem Blick aus und verdrücke mich auf dem Rücksitz. Ich weiß, dass ich traurig aussehe, dass meine Augen gerötet und meine Wimpertusche verlaufen ist. Bestimmt sehe ich aus wie eine Schleiereule. Ja, das weiß ich, aber ich möchte nicht darauf angesprochen
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