Liebe die bleibt
eindringen sollte. Einer, der wartet, bis sich diese Menschen freiwillig anvertrauen.
„Wie heißen Sie eigentlich, wenn ich fragen darf?“
„Tibor“, antwortet er.
„Das ist ein ungarischer Name. Stammen Sie von dort?“
„Ja, ich bin mit meinen Eltern vor zwanzig Jahren hierhergekommen.“
Tibor schweigt für eine Weile, wirft einen unauffälligen Blick in den Rückspiegel.
„Und Sie, wie heißen Sie, wenn ich fragen darf ?“
„Leila.“
„Die Geliebte einer tragischen Liebesgeschichte…“
Ich stutze, richte mich alarmiert im Rücksitz auf.
„Was haben Sie da gesagt… Woher…?“, stammle ich hellhörig geworden.
„ Das ist Bedeutung Ihres Namens… kommt aus dem Persischen“, klärt er mich auf.
„Und woher wissen Sie das? Ich meine, das mit meinen Namen.“
„Ich interessiere mich für Literatur … habe einige Semester Literaturwissenschaften studiert… hier in München, an der Ludwig-Maximilians-Universität.“
„Und was macht man mit so einem Studium?“, will ich wissen.
„Taxifahren“, antwortet er erheitert. Wieder versucht er, Blickkontakt aufzunehmen. „Soll ich Ihnen kurz die Geschichte erzählen?“
„ Ja, von mir aus… aber in Kurzfassung.“
Tibor stört sich nicht an meiner wenig dezenten Antwort und beginnt zu erzählen, in einem Tonfall, als sei er gerade erst frisch der Universität entronnen:
„Die zauberhafte Leila und der schwärmerische Madschnun sind das berühmteste Liebespaar des islamischen Orients – ebenso bekannt wie Romeo und Julia in der westlichen Welt. Ihre anrührende Geschichte von unerfüllter Liebe und maßloser Leidenschaft erzählt der große persische Dichter Nizami in seinem zeitlos gültigen Liebesepos .
Der Beduinenjüngling Qeis entbrennt in rasender Liebe zu Leila, die diese Liebe erwidert. Leilas Vater jedoch lehnt eine Heirat ab und gibt seine Tochter einem anderen Mann zur Frau. Darüber wird Qeis zum Madschnun, zum Wahnsinnigen, der, in der Wüste umherirrend, seinen Schmerz in ergreifende Verse fasst. “
„Madschnun“, wiederhole ich g eistesabwesend.
Vielleicht werde ich auch zum Madschnun , sinniere ich. Zu einer Wahnsinnigen, die statt ergreifender Verse fanatische E-Mails an ihren Liebsten verfasst. Und nicht in der Wüste, sondern vor seiner Haustür lauert, um ihn zu sehen.
„Sind Sie okay?“, reißt mich Tibor, der Taxifahrer, aus meinen Spekulationen.
„Ja, klar, alles okay! Ich heiße Leila. Ich bin die Geliebte in einer tragischen Liebesgeschichte. Ich komme gerade von einer Hochzeit, bei der ich gern die Braut gewesen wäre. Aus Verbitterung habe ich der Braut die Hochzeitsnacht geklaut, dem Bräutigam dann ein Schlafmittel verabreicht, ihm anschließend die Haare abgeschnitten und das Wort Mistkerl mit einem schwarzen Edding auf die Stirn geschrieben. Ja, soweit ist alles okay… Ich bin ein Madschnun… eine Wahnsinnige.“
Tibor antwortet mit einem herzhafte n Lachen.
„Und ich habe angenommen, dass Sie die Braut sind …“
„Wie kommen Sie denn da drauf?“
„Wegen der Brautkrone in ihrem Haar .“
Hektisch greife ich mir ins Haar und spüre das Corpus Delicti. Ich reiße mir das Diadem vom Kopf, betrachte es unschlüssig in der Hand und überlege, was ich damit anstellen soll. Aus dem Fenster werfen? Verbrennen, versteigern oder vielleicht aufheben und warten… auf jenen Moment im Leben, an dem alles an seinem Platz fällt und alles einen Sinn ergibt… und dann selber tragen? Dumme Leila, dumme Leila, tadle ich mich selbst.
„…und die Brautkrone, haben Sie der Braut also auch gestohlen?“, reißt mich Tibor schon wieder aus meinen Überlegungen, sein verschmitztes Grinsen kann ich erahnen.
„Nein, ich habe nicht gestohlen… Sie war die Diebin. Sie hat mir meinen Liebsten geklaut“, stelle ich richtig: „ Gans du hast den Fuchs gestohlen gib in wieder her, sonst wird dich die Leila holen mit dem Schießgewehr…“
„ Klingt lustig…“
„ Fühlt sich aber nicht so an“, widerspreche ich.
„ Wenn du etwas liebst, lass’ es frei. Kommt es zu dir zurück, gehört es dir. Wenn nicht, hat es dir nie gehört!“
„Wo haben sie das denn wieder her? Aus einem Glückskeks?“, frage ich seufzend.
„Nein, das ist eine Weisheit.“
„Wenn solche Weisheiten mit einer schriftlichen Zusicherung verbunden wären, dann wäre mir geholfen.“
„Vielleicht kann ich Ihnen helfen?“ , bietet sich Tibor an.
„Wie denn?“
„Indem Sie sich mir anvertrauen… mir Ihre
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