Liebe im Zeichen des Nordlichts
zuvor. Um festzustellen, wie weit er schon gekommen war, schaute er sich um: Die Sandbank war verschwunden. Es wunderte ihn, wie schnell es dunkel wurde. Das Wasser hinter ihm wirkte beinahe schwarz, der Himmel war schiefergrau.
Inzwischen reichte ihm das Wasser bis zur Taille. Sein Körper krampfte sich vor Kälte zusammen. Beim Gehen hob er die Arme hoch über den Kopf, als trüge er ein unsichtbares Gewehr. Dabei versuchte er, nicht daran zu denken, was geschehen würde, falls das Wasser noch tiefer werden sollte. Würde er es schaffen zu schwimmen? Da war er nicht so sicher. Nicht mit all den Kleidern am Leib. Er konnte es sich nicht vorstellen.
So starb man also. Erst jetzt kam es ihm in den Sinn. Jede Woche las man von Menschen, die ertrunken waren. So etwas stand zwar in der Zeitung, doch man hatte nicht die leiseste Ahnung, wie es geschehen konnte. Jetzt hatte er die Antwort.
Er durfte jetzt nicht sterben. Das würde angesichts der momentanen Situation eine ziemliche Unannehmlichkeit für alle bedeuten.
Inzwischen war es beinahe finster. In den Häusern am Strand gingen die Lichter an. Er konnte sogar sein eigenes Haus erkennen, ein dunkler Fleck zwischen seinen anheimelnd beleuchteten Nachbarn. Der Turm ragte wie eine Fläche vor dem Himmel auf, Bäume und Büsche waren pechschwarz. Die Promenade vor ihm war nur noch ein dunkler Umriss. Schemenhafte Gestalten gingen darauf hin und her. Vielleicht würden sie ihn sogar hören, wenn er rief. Aber er wusste, dass er nicht rufen würde.
Wie absurd! Beinahe hätte er über seine missliche Lage gelacht. Über die Möglichkeit, dass er hier sterben könnte, in Sichtweite seines eigenen Hauses und in Hörweite von Dutzenden von Menschen. Was für eine alberne Todesart. Er konnte sich vorstellen, wie die Leute in der
Irish Times
darüber lasen. Ihr Entsetzen. Aber auch einen Anflug von Erheiterung. Beim bloßen Gedanken, was für eine tragikomische Gestalt er im Tode abgeben würde, erschauderte er.
Dieses Thema beschäftigte ihn noch immer, als er plötzlich stolperte. Sein Fuß stieß gegen etwas unter Wasser, vielleicht einen Stein, so dass er vornüberstürzte. Er befürchtete, unter Wasser zu geraten, und malte sich voller Panik aus, wie es über ihm zusammenschlug. Doch er landete auf den Knien, und sein Kinn blieb gerade noch an der Oberfläche. Verzweifelt paddelte er mit den Händen, um das Gleichgewicht zu halten. Er stellte fest, dass der iPod fort war. Er hatte ihn beim Sturz fallen gelassen.
Doch das spielte keine Rolle. Inzwischen hatten die Dinge eine andere Dimension erreicht. Der iPod war nicht länger wichtig. Mühsam und keuchend vor Schreck und Kälte, rappelte er sich wieder auf.
Er musste sich beeilen, das war ihm jetzt klar. Er musste alle seine Kräfte darauf bündeln weiterzugehen. Mittlerweile war er so unterkühlt, dass Tod durch Erfrieren drohte. Also war es wichtig, dass er nicht aufhörte, sich zu bewegen. Sein schwerer Mantel zog ihn zu Boden. Unter großen Anstrengungen gelang es ihm, ihn abzustreifen. Er ließ ihn im Wasser zurück und kämpfte sich weiter.
Hugh hob den Kopf, betrachtete den dunklen Umriss der Promenade und fixierte ihn wie ein Ziel. Jemand dort hatte ihn bemerkt. Der Mensch stand auf den Felsen und ruderte wild mit den Armen. Er konnte nicht verstehen, was er sagte. Wie peinlich, dachte er. Wie absolut peinlich.
Mittlerweile war das Wasser seichter, daran bestand kein Zweifel. Plötzlich fiel ihm das Vorwärtskommen viel leichter.
Er bemerkte ein sich drehendes Licht voraus. Ein Streifenwagen. Zwei Personen in fluoreszierenden Jacken steuerten auf den Rand der Promenade zu.
Hugh trottete weiter durch das gekräuselte flache Wasser, das ihm inzwischen nur bis zu den Knöcheln reichte. Noch vor wenigen Minuten war ihm seine Situation lebensbedrohlich erschienen. Nun war sie nur noch lächerlich. Vor Verlegenheit wäre er am liebsten im Erdboden versunken, und ihm graute so vor der Ankunft, dass er beinahe versucht war umzukehren. Als Hugh die unterste Stufe erreicht hatte, ragte einer der Polizisten über ihm auf und streckte die Hand aus, um ihm aus dem Wasser zu helfen.
Eine beträchtliche Menge Schaulustiger hatte sich eingefunden. Die Hundebesitzer, die Jogger und die fußballspielenden Jugendlichen, sie alle waren stehen geblieben, um das Spektakel zu beobachten. Langsam stieg Hugh die Treppe hinauf. Seine Kleider klebten an ihm wie Seetang, und seine Schuhe waren klatschnass. Den Kopf hielt er
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