Liebe in groben Zügen
Hunde. Wie sie sich in Assisi am Fenster lieben, unten die ahnungslosen Pilger. Wie sie in Unterried vor den Lamas stehen, tagelang, nächtelang Zeit haben. Wie sie auf ihm liegt, in sein Gesicht vergraben. Wie er sie festhält, beruhigt. Sie schließt das Buch und steigt noch einmal aus dem Bett und tritt auf den Balkon – der Jasmin reicht schon über das Geländer, seine Triebe stehen in die Luft, sie schlingt sie um die Eisenstreben und sieht auf die dunkle Masse des Sees. Ihr Sommerglück. Und doch ist sie froh, wenn bald alles hinter ihr liegt. Sie liebt und sie flieht dieses Haus, das auch gebaut wurde, damit es eine Geschichte erzählt, die ihrer besten Jahre, Katrin noch klein, sie und Renz gegen Schulden kämpfend, ein Tigerpaar. Jeder Raum, jeder Tisch, einfach alles um sie herum: die Bäume, die Laube, der Pool, der Weg in den Ort und das Boot, erzählen von dem, was war, den Tigerzeiten, damit kann man leben. Aber jedes Ding lässt auch daran denken, wie es sein wird, erzählt schon etwas von kommenden alten Tagen.
Abends essen gehen oder kochen, später noch lesen, Musik hören, an kühlen Tagen Kaminfeuer. In die Flammen schauen, wie sie das Olivenholz aufzehren, noch ein Glas trinken, über den Garten reden, wie sich das Schöne noch schöner machen lässt, mit einem Pavillon, einer Steinfigur, Lämpchen in den Bäumen. Über das Wort Paradies lachen, sagen, dass man nicht ans Paradies glaube, und wenn es doch existierte, dort alles furchtbar wäre, die Ruhe, das Licht, der betuliche Umgang der Paradiesbewohner untereinander: sich treffen in dem Punkt, darauf anstoßen, den nächsten Tag planen. Eine Fahrt ins Valpolicella, Wein beim Erzeuger kaufen, abends ein ländlicher Gasthof, warum nicht mit Übernachtung – Reservierung, ja oder nein? Den Plan lieber fallenlassen als streiten, Dann eben nächstes Jahr sagen, sich ins Bad zurückziehen. Das gebräunte Gesicht waschen, die empfindlichen Zähne putzen, Gute Nacht rufen. Ins Bett gehen, sich einrollen, in Gedanken groß machen, jung, schön, sichtbar, darüber einschlafen. Vom frühen Morgen an wach liegen, an den Armen frieren, an Versäumtes denken, einen Sohn, eine Karriere, das andere Leben; sich zur Schnecke machen, noch einmal in den Schlaf fallen, böse träumen. Von sich selbst benommen aufstehen, Tee zubereiten, ihn mit Honig süßen, die erste Tasse im Bett, die zweite gemeinsam, bei trübem Wetter mit Bach, sonst Gianna Nannini oder Mozart. Nach dem Frühstück Mails beantworten, später die Asche im Kamin zusammenfegen, in das noch warme weiße Gebilde die Hand tauchen. Anschließend die Terrasse, Sommerlaub wegkehren, Zeitung lesen; nachmittags das Boot oder ein Anschein von Arbeit, vielleicht auch Anschein von Sex; abends mit dem ersten Wein Frieden finden. Auf die Lichter am anderen Ufer sehen, Dunkelheit und Stille kommentieren. Über das Telefonläuten erschrecken, ins Haus eilen, abheben, den Tochternamen rufen. Katrin erzählen lassen, dankbar sein, dass es sie gibt, toll finden, was sie vorhat: noch einmal Brasilien, diesmal am Unterlauf des Orinoco, ein Projekt mit Wilden, ohne Staudamm – die Ironie heraushören, ihr das Beste wünschen, sie behutsam angehen, wann man sich sehe, irgendwann im Dezember, oder gibt es schon andere Pläne? Enttäuschung verbergen, wenn Weihnachten flachfällt, nicht fragen, ob sie glücklich ist. Nicht fragen, ob sie noch ein Kind will.
Von unten plötzlich Musik, so leise, als käme sie aus dem Ort, aber sie kommt aus der Anlage im Wohnraum, also ist Renz noch einmal aufgestanden. Er hört die CD, die er unterwegs gekauft hat, und sie nimmt sich ihre Italienischnotizen vor. Infamitá heißt Schande oder Schändlichkeit, das Schlusswort einer Strophe, die im Dialekt so geht: Femmena/ tu si na malafemmena/ chist’uocchie ’e fatto chiagnere …/ lacreme ’e ’nfamitá. Frau, du bist eine böse Frau, die meine Augen mit Tränen und Schande füllt. Eine grobe Übersetzung, nur weiß sie jetzt, was Renz dort unten mitsummt, auch wenn er es selbst nicht weiß. Die Musik bricht ab, und sie hört ihn die Treppe hinaufgehen, hört seine Tür, wie er sie hinter sich zuzieht. Und sie löscht ihr Licht und drückt eine Wange ins Kissen, das Einschlafen, eine Schwerarbeit. Nur in den Nächten von Assisi und Unterried war es ganz leicht, da schlief sie schon, ehe sie schlief, als hätte Bühl ihr alles abgenommen, auch den Wettlauf gegen sich selbst, die Jahre, die sie trennten.
Und am anderen Morgen
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