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Liebe in groben Zügen

Liebe in groben Zügen

Titel: Liebe in groben Zügen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: B Kirchhoff
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I
    SEHNSUCHT nach Liebe ist die einzige schwere Krankheit, mit der man alt werden kann, sogar gemeinsam. Und ihre Erfüllung? Ist alles und nichts, ein Ewig bis auf weiteres; Details pfeifen seit jeher die Spatzen vom Dach. Aber welches Liebesglück ist schon originell, und welches Sehnen hat nicht etwas von einem Gedicht, das die Zeiten überdauert? Es gibt kein modernes Unglück, es gibt nur das alte Lied.
    Zwei Paare, getrennt durch ganze Epochen, zweimal das alte Lied: Franz und Klara, das Jahr zwölfhundertsechsundzwanzig, er halbblind und singend, den Spatzen nah, sie sein betender Schatten – Verrückte aus heutiger Sicht, der des anderen Paars: Vila und Renz, erwachsene Tochter, Wohnung in Frankfurt, Haus in Italien, beide im Takt unserer Zeit. Und als Bogen zwischen den Epochen ein Mann auf den Spuren des Franz von Assisi, Vilas unverhoffte Liebe, nach einem Zwischenfall auf und davon; seine erste Nachricht an sie, eine lange Mail ohne Anrede: Die Geschichte von Franz und Klara, vorletzter Akt. Ein Tag im umbrischen Juni, aus den Ölbäumen die Hysterie der Zikaden, an- und abschwellend mit jähen Pausen, in der Stille nur noch Franz’ und Klaras Atem, er mit Blättern auf den Augen gegen die Sonne. Klara hat ihren Arm angeboten, aber er will den Arm nicht. Wie lange kennen wir einander? Eine Frage, die ihn selbst überrascht auf dem Weg zu einer Hütte, die seine Brüder für ihn vorbereitet haben, zwischen dem Geäst Erde und Laub, damit kein Licht eindringt. Viele Jahre, antwortet sie und nimmt jetzt seinen Arm. Es geht steil abwärts durch Eichenwald, und Franz läßt sich führen, zum ersten Mal auf all seinen Wegen von Schwesterhand – er könnte kaum sagen, wie oft er über den Apennin ist, wie oft durch die Ebene um Mantua oder die Sümpfe vor Rom. Er schaute die Dämmerungen und schwarzen Nächte, er war Hüter der schlafenden Vögel und seines Leibs: den rieb er sich winters mit Schnee ab und tauchte ihn sommers in Schmelzwasser, daß ihm die Hitze darin in Wellen verging. Der Sommer ist schön, aber eine Frau. Und noch immer Klaras Hand, die ihn hält, bis sie die Hütte im Topino-Tal erreichen. Franz legt sich auf ein Lager am Boden, Haut und Knochen zu Blättern und Zweigen. Geh jetzt, sagt er, aber die Schwester der Schwestern bleibt, kniend in ihrer Kutte, die Hände vor dem Hals gefaltet. Keine betet so anmutig, Altissimu onnipotente bon Signore, seine Worte aus ihrem Mund. Er ahnt das helle Gesicht, hell wie das Haar, das er ihr vor langer Zeit abnahm. Was du einem Bruder gestattet hast, gestatte auch mir, hält sie ihm vor. Und was habe ich einem Bruder gestattet? Franz bedeckt das Gesicht mit den Händen, jeder Lichtstrahl ein Splitter in den Augen. Erst vorigen Monat haben Ärzte in Siena mit heißer Klinge das Narbige darin aufzulösen versucht, vier Brüder mußten ihn halten, am Ende schrie er zum Höchsten. Klara nimmt seine Hand, nur gehen sie jetzt keinen steilen Weg mehr, und er sagt, es sei ihm arg, wie sie ihn halte. Sie sei wie die Ärzte, nur mit heißer Hand! Aber das läßt sie nicht gelten. Erinnere dich, was du in Siena einem der Brüder gesagt hast: Ich will, daß du heimlich eine Zither besorgst, um meinen Bruder Leib, der voller Schmerzen ist, zu trösten. Das vermag ich ohne Zither! Klara reibt seine Finger. Um ihn ist Sommer, und er friert. Als sie sich zuletzt im Sommer sahen, bei Peschiera, da war sie die Kranke, geschwächt vom Fasten, er der mahnende Besucher: auch der Leib sei ein Geschöpf. Und dann erzählte er von einer Wanderung um das Kleine Meer, wie der Benacus-See bei den Römern hieß, von jungen Frauen, die sich dem Orden anschließen wollten, bereit, ihm ihr Haar zu geben, sich vor ihn zu werfen, damit er es abschneide, und Klara konnte nicht weghören, wie er die Hand nicht wegziehen kann. Wie lange kennen wir einander, fragt er erneut, obwohl er es weiß: Palmsonntag vor fünfzehn Jahren, er half ihr, aus einem der Adelstürme in der Oberstadt zu fliehen, sie beide verkleidet, Magd und Knecht, nachts die Feier für die Neue im Kreis der Brüder. Und zwei Jahre später schon ihr Streit um die Leitung von San Damiano. Klara war zwanzig und wollte noch keine Oberin sein, aber ihr Wille war nie sein Himmelreich. Sie will ja auch, daß er sich an die eigenen Worte erinnert, wie Pica, die Mutter, als sie ihn gepflegt hat nach seiner Kerkerhaft: Erinnere dich deiner Ritterträume, deiner Reden! Alle Frauen wünschen das Horchen nach innen, aber keine wie

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