Liebe in groben Zügen
Flüstern, das sie aufhorchen lässt – Liebende setzen ihr zu, ob im Film oder im Leben, immer. Renz trägt schon das Schlauchboot zur Straße, wo ihr alter Jeep steht, sie vertäuen es wie eh und je auf dem Dach. Dann die Fahrt in den Ort und hinter der Ampel den Hang hinauf in den steilen gewundenen Hohlweg; aus der Dunkelheit das Zirpen einer Zikade wie ein vergeblicher Notruf. Und als sie auf das Haus zufahren, nichts als Stille, nun schon seit vierzehn, fünfzehn Jahren, Vila hat längst aufgehört, die Jahre zu zählen, sie weiß auch, wann: nach Kaspers Tod – er könnte immer noch dem Jeep entgegenstürmen, jaulend vor Glück, als seien sie tagelang fort gewesen, ihr aller Geschöpf ohne Nachfolger. Das Gartentor steht halb offen, Du hast es nicht zugemacht, sagt sie. Renz hält auf dem Rasen, der gemäht werden müsste, sie heben das Boot vom Dach; früher hätte der Bewegungsmelder das Außenlicht angeschaltet, irgendwann ist er kaputtgegangen. Renz schließt das Tor, sie geht schon ins Haus, im unteren Wohnraum brennt Licht, sie hatte es angelassen, sie will nicht ins Dunkle treten, es reicht, wenn unter den Sohlen die Fliesen knacken, wo sie gebrochen sind. Sie öffnet die Terrassentür; über dem Pool eine späte Fledermaus, ihre lautlosen Stürze. Es ist warm auf der Terrasse, der Sommer sitzt noch im Stein. Vila streift sich die Kleidung herunter, sie geht nackt ins Bad, an der Wand eine Springspinne, die schlüpfen im August, sie ruft nach Renz, knapp und laut sein Name, er kennt das: ein Schreckenstierchen, und Vilas Ruf, als hätte er es ins Haus gebeten – überall an den Wänden die kleinen Kammerjägerspuren; er macht das nicht gern, aber er macht es. Nach dem Erschlagen der Spinne das Sitzen auf der Terrasse, zwischen ihnen die Flasche vom Vorabend. Nachts trinken sie nur Rotwein, eher süß als herb, im Moment einen Amarone, schwer und betäubend; Weißwein dagegen wie ein Wasser auf den Mühlen alter Wunden. Willst du Musik? Vila, nur ein Handtuch um die Schultern, geht in den Wohnraum, sie bückt sich zur Anlage, Renz, in Pyjamahosen, sieht ihr zu; beide haben sich bequemere Formen gegönnt, bei ihr schmiegen sie sich um die Knochen – ihr helles Becken, immer noch anziehend, die lichten Kniekehlen, die Fesseln. Wären wir lieber hiergeblieben, ruft sie. Es war abzusehen mit dem Regen! Noch ein Nachtreten, das gehört dazu. Renz hebt nur eine Hand und lässt sie fallen, er nimmt sein Glas, Vila legt Scarlatti auf, ebenfalls absehbar, sie setzt sich wieder, das Glas in der Hand. Auf der anderen Seeseite die vertrauten Lichter, der Blick, seit sie das Haus haben. Vila trinkt in kleinen Schlucken, im Schoß jetzt das Telefon; Katrin lässt seit zwei Wochen nichts von sich hören, ihr letzter Anruf aus Yucatán, Mexiko, immer ist sie woanders, schon als Kind rief sie plötzlich aus Hanau an, war bei Freunden. Jetzt also Yucatán, Mexiko. Und was machst du da?, die normale Frage. Antwort: Ich sehe mich um! Eine Doktorandin, die gern reist, so weit normal bei Ethnologie, wenn sie nicht immer Geld nachschießen müssten, um Katrins Reisen abzufedern, Geld, das sie beide beim Fernsehen verdienen, Renz mit Vorabendzeug: sein eigenes Wort dafür. Vila leert ihr Glas, eine Hand auf der Brust über dem Herzen, den Daumen in Bewegung. Sie streichelt sich, in den Augen etwas, das Renz beunruhigt – bis heute weiß er nicht, warum sie weint, wenn in einem Film die Dinge zwischen zwei Leuten das erhoffte Ende nehmen. Katrin wird es schon gutgehen, sagt er, und Vila hebt die leere Flasche, Holst du noch eine von oben? Sie trinken zu viel, wenn sie allein sind, es gibt immer Gründe.
Die Treppe zum ersten Stock hat kein Geländer, da hatten sie damals gesagt, wozu, und nun tastet er manchmal schon nach der Wand, darin filigrane Risse wie Greisenfalten: eine tektonisch unruhige Gegend, nichts Beängstigendes – nichts gegen das Beben von Assisi, das sie miterlebt haben –, nur immer wieder kleine Erschütterungen, die ihre Spuren hinterlassen, auch durch abgeplatzte Mosaike im Pool. Mit einem weißen cremigen Gips kann man sie neu verfugen, wenn das Becken leer ist, ein mühsames Verfahren, er hat es aufgegeben, und beide schwimmen sie über immer abstrakteren Mustern, wo der Estrich zum Vorschein kommt; nur Oliven und Regenwürmer fischt er noch vom Grund. In den ersten Jahren hatte Vila die Oliven geerntet, jeden November lieferte sie acht Säcke in einer Genossenschaft ab, und am Ende hatten sie
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