Liebe in groben Zügen
Südens, dem anderen Licht: die alte arkadische Hoffnung, noch weit von sich gewiesen, als ihm Vila, vor seiner Zusage, sich in dem Haus einzumieten, damit kam: Sie werden dort aufblühen, so, wie schon viele vor Ihnen! Und er nur: Was erzählen Sie da.
Ein Vorgespräch im Museumspark, wo auch gedreht werden sollte, so waren sie über Franz von Assisi und dessen Aufenthalte in Norditalien auf das Haus am See gekommen, und auf einmal (aus Vilas Instinkt für Leute, aus denen etwas herauszuholen war) das Angebot: Wenn er dort in Ruhe arbeiten wollte, dann könne er es im Winter gerne haben, für wenig Geld und etwas Gartenpflege. Wollen Sie? Und er wollte; es war der Reisegutschein, der ihn aus Frankfurt wegbrachte, weg von seinen gelangweilten Schülern und stumpfsinnigen Kollegen am Hölderlin, wo er ohnehin keine große Zukunft hatte nach seinen sonntäglichen Brandreden im Park.
Vila hatte von den Auftritten gehört, sie kannte Frauen mit Kindern am Hölderlin, und gleich am folgenden Sonntag war sie in den Park gegangen und sah ihn dort auf einer Bank stehen, einen Kerl mit klingender Stimme und breiter Stirn, Wangen und Mund unter einem überflüssigen Bart. Er sprach vor einem Dutzend Leuten über das Gelangweilte seiner Schüler mit Polohemden und über Franz von Assisi, als junger Mann allem Modewahn entkommen, und sie legte ihm ihre Karte hin. Noch am Abend rief er an, und sie malte ihm aus, wie es wäre, demnächst einer von drei Mitternachtstipps zu sein und so eine halbe Million Leute zu erreichen. Und in der neuen Woche schon das Vorgespräch mit der Hausofferte und zwei Tage später die Aufzeichnung im Park – Moderatorin und Prediger auf einer Bank zwischen alten Bäumen, eine Unterhaltung, als seien sie allein, geradezu intim, Vilas Stärke in der Sendung; und am Schluss sogar ein doppelter Tipp von ihr: In den Frankfurter Museumspark gehen, dem Mann mit dem Bart bei seinen Reden zuhören und sich mit Franz von Assisi befassen. Das Ganze in der Nachbearbeitung auf vier Minuten dreißig gekürzt und am Sonntag darauf schon ausgestrahlt, die letzte Sendung vor der Sommerpause. Das Echo war erstaunlich, viele Mails, die dem Lehrer den Rücken stärkten, aber auch empörte Anrufe im Kultusministerium und dort die Erwägung eines Disziplinarverfahrens, aber da hatte sich Bühl schon selbst beurlaubt. Er begann, seine Wohnung aufzulösen, und verließ sie nur noch, um im nahen Textorbad Schwimmrunden zu drehen – ein Schwimmer schon im Internat am Bodensee – oder im Woolworth-Tiefgeschoss ein paar Lebensmittel zu kaufen; sein Kontakt zur Welt bestand aus dem Lesen und Schreiben von Mails. Er bekam Mengen von Post in diesen Tagen seines vorübergehenden Ruhms, aber nur ein einziger Eingang interessierte ihn: Die Moderatorin der Mitternachtstipps hatte sich gemeldet, etwas besorgt über die Folgen des Beitrags für sein berufliches Leben, und sie erwähnte noch einmal die Haussache, befürwortet auch von ihrem Mann. Ab Ende September, wenn wir dort unten genug haben, können Sie bis Ostern in unser Haus, alles Nähere bei der Übergabe, wäre das in Ordnung? Eine von Bühl ausführlich beantwortete Mail, auch wenn er kaum auf den Inhalt einging. Das meiste galt seiner Beschäftigung mit dem unerschöpflichen Francesco, wie er ihn nannte – jemand, den alle Fragen der Liebe gequält hätten, die einen auch heute quälten. Franz von Assisi, der könnte genauso gut Franz von Frankfurt heißen, geboren im Jahr der Wende; es gebe kein modernes Glück oder Unglück. Und so weiter.
Vila hatte die Antwort in ihrer großen Altbauwohnung in der Schadowstraße gelesen (drei Minuten von der Schweizer, keine zehn vom Museumspark), der Abend vor dem Aufbruch zum See, Renz im Nebenraum vor seiner alten Filmbibliothek aus der Kritikerzeit, er sah sich Folgen der Serie an, in die er einsteigen sollte, im Mittelpunkt eine Pathologin; seine Producerin-Bekannte hatte eine ganze Staffel geschickt und einen Arbeitsbesuch am See vorgeschlagen. Ganz nette Frau: Renz’ prophylaktische Worte zu Vila, etwas fern der Realität. Sie war eine Dunkelblonde Anfang vierzig, meistens die Hand mit Zigarette am weichen Mund, dazu ein verrätselter Blick unter japanischen Lidern, die Figur mädchenhaft. Marlies Mattrainer. Und nun stand ihr Besuch bevor, fast eine Überschneidung mit der Ankunft des künftigen Mieters.
ZWEI Tage nachdem Vila und Renz erfahren hatten, dass sie Großeltern würden, erschien Kristian Bühl in ihrem
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